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Warum unsere Kinder Tyrannen werden

Titel: Warum unsere Kinder Tyrannen werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Winterhoff
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von ihrer fünfjährigen Tochter instrumentalisieren lässt. Claudia ist auf den ersten Blick kein unterentwickeltes Kind, die Idee mit dem imaginären Muffin zeugt von Fantasie und Lust am Spiel, wie es für eine Fünfjährige normal ist.
    Das Problem besteht in Claudias Reaktion auf die unerwartete Handlungsweise ihrer Mutter. Dass diese ungewollt das Spiel nicht im Sinne Claudias mitmacht, führt automatisch zu einem Frustrationserlebnis für das Kind: Die Erwartung, dass der Muffin nur bewundert und nicht angebissen werde, hat sich jäh zerschlagen.

    Bei einer normalen psychischen Entwicklung eines fünfjährigen Kindes müsste Claudia in der Lage sein, trotz des ersten spontanen Ärgers mit der Situation umzugehen und zu erkennen, dass eine so extreme Reaktion, wie sie sie zeigt, überzogen ist. Möglich wäre diese normale Reaktion jedoch nur dann, wenn Claudia ihre Mutter als natürliche Autorität wahrnehmen und anerkennen würde. Sie würde dann den Versuch unterlassen, ihre Mutter durch ihr widerspenstiges Verhalten zu bestimmen und die Entschuldigung der Mutter zu provozieren. Wichtig wäre, dass das Kind die Mutter als Begrenzung des eigenen Ichs erfahren würde, denn nur dadurch bilden sich psychische Funktionen heraus, die es möglich machen, später auch andere Autoritäten neben Mutter und Vater als lebensbestimmend anzunehmen.
    Die Handlungsweise der Mutter zeigt gleich mehrere Auffälligkeiten, die die Psyche ihrer Tochter in die falsche Richtung beeinflussen. Das beginnt bereits bei der Nachfrage, ob sie rechtzeitig vor Ort sei, nachdem Claudia sich offensichtlich gegenüber der Erzieherin und/oder der Mutter beschwert hat, sie werde zu spät abgeholt. Claudia müsste normalerweise akzeptieren, dass nicht sie, sondern ihre Mutter den Zeitpunkt festlegt, zu dem diese im Kindergarten erscheint. Die Mutter jedoch gesteht Claudia zu, darüber zu urteilen, wann der richtige Zeitpunkt fürs Abholen gekommen sei. Sie begibt sich damit in der Überzeugung, Claudia ein Mitbestimmungsrecht gewähren zu müssen, in Abhängigkeit von ihrer Tochter. Was läuft falsch? Ist es nicht ein aufgeklärtes und pädagogisch richtiges Verhalten, dem Kind diese Entscheidungs- und damit auch Kritikbefugnis zu geben? Die heute vorherrschende Meinung würde diese Fragen mit »Ja« beantworten und somit sowohl Kind als auch Mutter aus der Verantwortung für das Fehlverhalten entlassen.

    Es handelt sich nämlich um ein Fehlverhalten. Claudias Psyche ist im Alter von fünf Jahren nicht ausgereift. Um in späteren Lebensabschnitten ein Gefühl dafür zu haben, wann jemand pünktlich oder verspätet erscheint (etwa zu einer Verabredung), muss ihr psychisches Empfinden trainiert werden. Das funktioniert jedoch nur auf eine Weise, nämlich, indem die Mutter ihr vorgibt, wann »rechtzeitig« und wann »zu spät« ist. Claudia folgt in ihrem Alter lediglich einem Lustimpuls, der heute diesen und morgen jenen Zeitpunkt als »richtigen« Zeitpunkt beurteilt. Erst durch den Widerstand der Mutter, die den Termin kennt und einhält, lernt sie, diesen Zeitpunkt selbst objektiv zu bestimmen.
    Was im ersten Moment belanglos klingen mag, spielt in späteren Jahren eine nicht zu unterschätzende Rolle. Situationen wie diese sind wichtig, um Primärtugenden einzuüben, ohne die später ein harmonisches Zusammenleben innerhalb der Gesellschaft kaum möglich ist. Unpünktlichkeit erscheint uns heute bisweilen als fast liebenswerte Eigenschaft von nicht so sehr ordnungsbegabten Menschen. Während dies im privaten Bereich gerade noch gelten mag, auch, wenn es häufig sehr ärgerlich ist, ist nicht von der Hand zu weisen, dass es im Beruf zu durchaus ernsten Komplikationen kommen kann. Die Psyche jedoch unterscheidet nicht zwischen Berufs- und Privatleben. Psychisch betrachtet erwächst Unpünktlichkeit (und damit die bisweilen handfesten Nachteile im wirklichen Leben) aus Situationen, wie Claudia und ihre Mutter sie in unserem Beispiel vorexerzieren.
    Doch schauen wir uns die »Muffin-Szene« noch ein wenig näher an. Auch diese enthält viele kleine Details, die in ihrer Gesamtwirkung eine positive Weiterbildung der kindlichen Psyche behindern. Claudias Idee mit dem imaginären Muffin zeugt von lebendiger Fantasie und gesundem Spieltrieb. Ihre Reaktion auf die unerwartete Handlung der Mutter

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