Warum unsere Kinder Tyrannen werden
Ausbildungsfähigkeit der Schulabgänger.
Wie extrem dieses Problem mittlerweile geworden ist, war erst kürzlich dem Interview mit einem leitenden Mitglied eines norddeutschen IHK-Bezirkes zu entnehmen, das die
Frage, worüber Betriebe am meisten klagten, eindeutig mit der mangelnden Ausbildungsreife der Schulabgänger beantwortete. Mit dem Verweis auf eine Quote von heute 25-30 Prozent nicht ausbildungsfähiger Abgänger konnte auch zahlenmäÃig das Problem eindringlich dargestellt werden. Gerade auch, so hieà es in dem Interview weiter, vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung seien diese Zahlen dramatisch.
Bei Vorträgen vor Meistern von Betrieben etwa erfahre ich statt befürchteten Unverständnisses ob meiner ungewohnten Thesen sehr viel Zustimmung und sogar so etwas wie einen »Aha-Effekt«. Denn das Phänomen der Jugendlichen, die kaum in der Lage sind, ihre Berufsausbildung bis zum Ende durchzustehen (geschweige denn, hinterher Jahre oder Jahrzehnte im Job zu verbringen), ist fast jedem Betriebsinhaber oder Ausbildungsverantwortlichen wohlbekannt.
So berichtete mir der Inhaber einer Autowerkstatt kürzlich von seinem Azubi, der aufgefordert wurde, eine bestimmte Zange zu holen, um einen Reparaturvorgang auszuführen. Der Azubi zeigte sich dazu jedoch nicht in der Lage, er wirkte, als habe er die einfache Anweisung gar nicht verstanden, fragte nach, was er denn nun genau holen solle und trieb diese Situation so weit, dass schlieÃlich ein anderer Mitarbeiter die Zange herbeischaffte. An solchen Beispielen wird deutlich, dass es ein offensichtliches Problem in der Kommunikation mit jungen Menschen gibt. Die Sprache des menschlichen Gegenübers mag die gleiche sein, verstanden wird sie trotzdem nicht.
Die in der kindlichen Entwicklung liegenden Ursachen, die dieser mehr als besorgniserregenden Entwicklung zugrundeliegen blieben gleichwohl bisher im Verborgenen, ungeachtet einer Vielzahl an pädagogischen Konzepten, wie der »Unlust« der jungen Leute beizukommen sei.
Verantwortlich für diese totale Finsternis bei der Suche nach den Gründen ist beim Umgang mit dem Phänomen ein Verbleiben bei althergebrachten Behandlungsmustern und Vorgehensweisen sowie das Anpassen der Beschreibungsmuster von Störungen an die jeweils vorherrschende äuÃere Realität im Zustand der jugendlichen Patienten von Ãrzten und Therapeuten.
Das mag auf den ersten Blick einigermaÃen kryptisch klingen, ist aber bei eingehenderer Betrachtung zwingend logisch und einsichtig. Die gegenwärtige Diskussion krankt nicht zuletzt an einem ganz zentralen Punkt. Die Fehlentwicklung, mit medientauglichen Spitzen wie Amokläufen als weithin sichtbare Garnierung, steht im Mittelpunkt des Interesses. Die Gesellschaft glaubt immer noch, ein Gefühl dafür zu haben, was »normal« ist, wie sich gesund entwickelte Menschen, und damit auch Kinder und Jugendliche, verhalten. Ein Blick auf die aktuelle Lage zeigt, dass es sich hier um einen Irrglauben handelt.
Wer sich die Entwicklung der letzten Jahre genauer anschaut, muss feststellen, dass wir es mit einer massiven Verschiebung aller MaÃstäbe zu tun haben, die wir an die Entwicklung von Menschen anlegen. Was normal ist und was nicht, unterliegt einem ständigen Beurteilungswandel. Das Fatale daran ist, dass wir es hier mit einer stetigen Abwärtsbewegung zu tun haben. Das heiÃt nichts anderes, als dass die MaÃstäbe immer weiter nach unten angepasst werden. Galt es vor zwanzig Jahren noch als normal, dass ein dreijähriges Kind, das in den Kindergarten kommen soll, seine Körperausscheidungen kontrollieren kann, also trocken ist, so wird heute bei der Vorbesichtigung eines Kindergartens durch die Eltern dieses Thema kaum noch angesprochen. Sowohl Eltern als auch Erzieher stimmen stillschweigend darin überein, dass das Kind sehr wohl in den Kindergarten
kommen könne, wenn es weder tagsüber noch nachts auf die Windel verzichten kann. Einzig bei altgedienten Erzieherinnen ist manchmal ein leichtes Unbehagen zu merken, wenn dieses Thema angesprochen wird, doch auch diese haben sich den heute geltenden Gegebenheiten angepasst, anders gesagt: Sie haben vor dem gesellschaftlichen Druck kapituliert. Das gilt natürlich nicht nur für das Thema »trocken oder nicht trocken«, sondern auch für anderes, beispielsweise die Fähigkeit, auf Aufforderungen zu reagieren, etwa
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