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Warum unsere Kinder Tyrannen werden

Titel: Warum unsere Kinder Tyrannen werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Winterhoff
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kindlichen Narzissmus durchzusetzen versucht. Das Kind würde durch den Unterschied im Verhalten der sich abgegrenzt zeigenden Eltern gegenüber dem leblosen Stuhl den Unterschied zwischen Menschen und Gegenständen kennen lernen. Die Eltern lassen sich nicht steuern, der Stuhl sehr wohl. Wenn das Kind diesen Unterschied vergegenwärtigt hat, entsteht in seiner Psyche - bildlich gesprochen - eine neue Nervenzelle, die »Nervenzelle Mensch«.
    Kinder und Jugendliche, bei denen sich die Nervenzelle Mensch durch das Aufwachsen im Rahmen einer symbiotischen Beziehungsstörung nicht bilden kann, verhalten sich ihrer Umwelt gegenüber grundsätzlich gegenständlich, sie haben auf allen Gebieten Defizite und sind hochgradig beziehungsgestört sowie arbeitsunfähig, so dass eine Integration in die Gesellschaft schwierig bis unmöglich wird. Die Herausbildung der Nervenzelle Mensch beim heranwachsenden Kind ist der entscheidende Punkt auf dem Weg zum funktionstüchtigen Erwachsenen.

Marcel
    Um deutlich zu machen, welche Auswirkungen eine symbiotische Beziehungsstörung im ganz normalen Alltag haben kann, beschreibe ich hier den Fall des neunjährigen Marcel, der einer lokalen Zeitung eine halbe Seite Berichterstattung wert war.
    Marcels Mutter hatte sich offensichtlich hilfesuchend an die Redakteure der Zeitung gewandt, um ihrem Begehr per Öffentlichkeit Nachdruck zu verleihen. Ihr Sohn hatte sich erhebliche Verletzungen zugezogen, als er gemeinsam mit einem Freund versuchte, einen Turm aus Getränkekisten zu
erklettern, die im Lager eines Supermarktes auf Europaletten übereinandergestapelt standen. Beim Klettern war Marcel abgerutscht und aus einigen Metern Höhe auf den Boden gefallen.
    Marcels Mutter ist der Ansicht, der Supermarkt habe durch die freie Zugänglichkeit des Geländes mit den Paletten und Kisten seine Verkehrssicherungspflicht verletzt und sei somit für den Unfall verantwortlich zu machen. Sie hat sich daher des Beistands eines Rechtsanwaltes versichert, um ihre Ansprüche geltend zu machen, zumal die Leitung des Supermarktes jede Verantwortung von sich weist und ihrerseits gute Gründe für das Stapeln der Paletten anführen kann, so etwa einen erhöhten Diebstahlsschutz.
    Die juristische Dimension dieser Geschichte soll und kann hier nicht erörtert werden. Dass ein Gericht zu der Ansicht gelangen könnte, das Gelände hätte abgesperrt sein müssen, ist durchaus im Bereich des Möglichen.
    Für unseren Zusammenhang ist die Reaktion der Mutter des kleinen Marcel wichtig. Sie wird in dem Artikel unter anderem dahingehend zitiert, dass sie nicht der Meinung sei, ihre Aufsichtspflicht verletzt zu haben, sondern dass »man Neunjährige laufen lassen darf« und die Situation mit den Kisten ihren Sohn habe herausfordern müssen, die Mutprobe des Kletterns anzunehmen.
    Das Argumentationsschema ist in diesem Fall ähnlich wie in Fällen des Bekletterns von Eltern in Beratungsgesprächen in meiner Praxis. Marcels Mutter ist nicht abgegrenzt und reflektiert das falsche Verhalten ihres Sohnes nicht. Sie kommt nicht auf die Idee, dass dieser absichtlich auf die Kistentürme geklettert sein könnte und sich daraus eine Mitverantwortung für den Unfall ergibt. Das zeigt sich sehr deutlich an einem weiteren Zitat im Artikel, in dem sie sagt, »die Türme« hätten Marcel »wohl zum Klettern verleitet«. Im Rahmen
einer symbiotischen Beziehung zu Marcel nimmt sie diesen als eigenen Körperteil wahr, der selbstverständlich nicht absichtlich auf die Kisten geklettert ist, sondern durch diese selbst quasi magisch dazu animiert wurde. Die gegenteilige Meinung des Supermarktes und der Verweis auf das Thema elterliche Aufsichtspflicht können für sie keine Diskussionsgrundlage darstellen, da sie kaum mehr in der Lage ist, die Verantwortung für ihren Sohn als schützenswertes Kind überhaupt anzuerkennen.

Wie das Kind in der Symbiose als Körperteil des Erwachsenen verarbeitet wird
    Basis dafür, dass der Erwachsene in die Symbiose gerät, ist die fortwährende Überforderung durch seine Umwelt. Die nicht mehr zukunftsweisende Gesellschaft, die auf einer enorm hohen Wohlstandsstufe zu ersticken scheint, kann die Frage nach Sinn nicht mehr beantworten. In der Folge fehlen dem Erwachsenen Gefühle wie Glück, Zufriedenheit, Erfüllung. Diese Anteile der Psyche, die sich auf Grund der

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