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Warum unsere Kinder Tyrannen werden

Titel: Warum unsere Kinder Tyrannen werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Winterhoff
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spezifischen gesellschaftlichen Situation nicht mehr bilden, versucht der Erwachsene nun im Kind zu finden.
    Psychische Anteile werden unbewusst aus der Psyche des Kindes herausgenommen und in die erwachsene Psyche eingebaut, ein Vorgang, den man mit Introjektion bezeichnet. Im Gegensatz zur Projektion, bei der der Erwachsene seine Wünsche auf das Kind verlagert und damit im Rahmen der Machtumkehr selbst zum Kind wird, während dieses die Rolle des Erwachsenen einzunehmen hat, ist dieser Gegensatz bei der Introjektion aufgehoben. Weil kindliche und erwachsene Psyche durch die »Entnahme« von Anteilen eins werden, spreche ich in diesem Zusammenhang von Symbiose,
also einer Psychenverschmelzung. Das bedeutet letztlich nichts anderes, als dass das Glück des Kindes zum Glück des Erwachsenen wird.
    Der Erwachsene kann auf Grund der Psychenverschmelzung nicht mehr zwischen sich und dem Kind unterscheiden, er beginnt, für das Kind zu fühlen, zu denken und zu handeln. In der natürlichen Entwicklung des Menschen ist dies eine Phase, die sich in den ersten zehn Monaten abspielt, in denen die Mutter in einer natürlichen symbiotischen Beziehung zum Kind lebt, da sie alleine wissen kann, wann, was und wie viel das Kind essen kann.
    Ab dem zehnten Lebensmonat müssen psychische Anteile zunehmend an das Kind delegiert werden, damit es eine normale Entwicklung nehmen kann. Kinder fangen in diesem Alter mit dem Laufen an und erweitern damit ihre Welt erheblich. Als eine Folge davon steigt die Bereitschaft des Kindes zu warten. Im Zuge der Welterfahrung durch das Laufen wird das Kind auch alles Mögliche ausprobieren, es betastet Gegenstände, leckt an ihnen, zieht und zerrt daran und erfährt auf diese Weise etwa, dass es weiche und harte, kalte und warme Gegenstände gibt. Es wird auch die Erfahrung machen, dass man bestimmte Gegenstände, wie etwa einen Stuhl, verschieben kann. Nach vielen Durchläufen des Ausprobierens würde irgendwann auch die Sitzfunktion des Stuhles durch Beklettern entdeckt.
    Kinder, deren Eltern von der Ebene der Projektion auf die Ebene der Symbiose geraten sind, werden von diesen Eltern psychisch genauso verarbeitet, als wenn es sich um einen eigenen Körperteil handeln würde. Erkennen die Eltern bei den Kindern eine vermeintliche Fehlfunktion, kommt es zu einer Reaktion, die ausschließlich darauf ausgelegt ist, diese Fehlfunktion abzustellen und den gewünschten »Voll-Funktionszustand« wiederherzustellen.

    Bei dieser Verarbeitung des Kindes als Arm, oder, allgemeiner gesprochen, als Körperteil lassen sich drei Reaktionsweisen unterscheiden, die für Eltern in einer symbiotischen Beziehungsstörung typisch sind:
    1. Kindliche Impulse werden auf Grund der Verschmelzung von elterlicher und kindlicher Psyche von den Eltern als Eigenreiz und nicht als Fremdreiz verarbeitet.
    2. Das Kind macht auch bei schwerwiegendem Fehlverhalten grundsätzlich nichts absichtlich bzw. »extra«.
    3. Das Kind fordert bei Fehlverhalten eine sofortige, somit gegenständliche und nicht zwischenmenschliche Reaktion der Eltern heraus.

Verarbeitung der kindlichen Impulse als Eigenreiz
    Wenn ein Impuls von außen auf unseren Körper einwirkt, kann man hinsichtlich der Verarbeitung im Gehirn grundsätzlich zwischen Eigenimpulsen und Fremdimpulsen unterscheiden. Der Unterschied ist recht simpel, für die symbiotische Reaktion aufs Kind jedoch entscheidend.
    Beim Eigenimpuls handelt es sich um eine automatisierte Handlung. Wenn ich mich beispielsweise während eines Gespräches auf Grund eines plötzlichen Juckreizes am Arm kratze, registriere ich diesen aus meinem eigenen Körper kommenden Impuls kaum, er ist für mich so unwichtig, dass ich ihn auch nicht abspeichere. Fragt mich also einige Minuten später jemand danach, werde ich ihm nicht mehr sagen können, ob ich mich gekratzt habe oder nicht.
    Anders beim Fremdimpuls. Würde jemand anders auf die Idee kommen, mich - aus welchem Grund auch immer - am Arm zu kratzen, würde ich das sehr wohl registrieren,
auch im Gehirn abspeichern und es würde mich aggressiv machen und meinerseits eine angemessene Abwehrreaktion herausfordern.
    Diese unterschiedliche Verarbeitung von Impulsen spielt auch für die Reaktionsweise aufs Kind eine Rolle. Die Entdeckungsreise, die das Kind mit den Gegenständen seiner Umgebung macht, wird es automatisch auch mit den Menschen unternehmen, also in

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