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Was allein das Herz erkennt (German Edition)

Was allein das Herz erkennt (German Edition)

Titel: Was allein das Herz erkennt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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ihnen zu lassen und ihm ungehindert in die Augen zu blicken. Sie waren schmerzerfüllt und beklommen, einer Panik nahe. Aber die eiskalte Wut war verschwunden.
    »Es tut mir Leid, wie ich mich benommen habe«, sagte er. »Ich weiß, mein Verhalten ist unentschuldbar. Aber ich habe noch nie einen Menschen so nahe an mich herankommen lassen, zumindest nicht seit ihrem Tod. Wenn ich an sie denke, wenn ihr Name fällt, habe ich das Gefühl, verrückt zu werden. Während der Saison kann ich Dampf ablassen, bei der gegnerischen Mannschaft. Auf dem Eis ist das leicht.«
    »Aber jetzt haben wir Sommer. Es gibt kein Eis.«
    »Ja. Und es gibt Kylie und dich.«
    »So ist es.«
    »Im Sommer reagiere ich mich gewöhnlich so ab wie heute, gestern und vorgestern: ich verausgabe mich körperlich, bis zum Umfallen. Ich bin müde, May. Können wir –« Seine Stimme klang besser, als hätte er wieder Mut gefasst, und May wusste, dass er vorschlagen wollte, hineinzugehen, etwas zu essen und dann nach oben zu gehen.
    »Lass uns noch einen Moment draußen bleiben«, erwiderte sie.
    Der Himmel war hell und dunkel zugleich, und May spürte, wie Martin zitterte. Sie zog den zweiten Stuhl heran und setzte sich.
    »Wir waren damals schon geschieden, ihre Mutter und ich«, begann Martin plötzlich. »Trisha lebte – lebt immer noch – in Kalifornien, in Santa Monica, und Natalie kam her, um den Sommer mit mir zu verbringen. Trisha war es Recht. Sie machte mir nie Schwierigkeiten, wenn ich Nat bei mir haben wollte. Dann hatte sie freie Bahn, aber es war nicht nur das. Sie wusste, sie hätte Nat und mich nicht auseinander bringen können, nur weil sie eine andere Sache laufen hatte.«
    May hörte zu, den Blick in die endlose Weite des Himmels gerichtet.
    »Es war vor sieben Jahren, im Juli, das Wetter war heiß und schwül. Ich hatte mir in der Saison eine Knieverletzung zugezogen, ziemlich schlimm, und war in Detroit operiert worden, bevor ich hierher kam. Eines Tages machten Natalie und ich eine Radtour, idiotisch, wie der Arzt meinte; ich weiß nicht, wie es passierte, aber irgendwie verrutschte die Kniescheibe. Ich musste zurück ins Krankenhaus, direkt unten am See in LaSalle, wenn man das so nennen kann.«
    »Natalie war bei dir?« May konnte sich vorstellen, wie viel Angst das Mädchen gehabt hatte; sie erinnerte sich, wie furchtbar es für Kylie gewesen war, als sich May an einer Glasscherbe geschnitten hatte und in der Coastline Clinic genäht werden musste.
    »Sie wich nicht von meiner Seite.«
    »Töchter! Treu ohne Ende.«
    »Geradezu dickschädelig. Sie brachten mich nach Toronto, in eine bessere Klinik mit einem Orthopäden, der zur ersten Garnitur gehört.«
    »Die Twigg Universitätsklinik?« May stellte sich das vertraute Backsteingebäude vor.
    »In der Nähe. Der Orthopäde ist auf Hockeyspieler spezialisiert. Trisha wollte, dass Nat nach Hause kommt, aber wir wollten nicht. Ich bekam nur eine Woche Schonzeit verordnet und sie las mir vor, wenn mir das Stillsitzen auf die Nerven ging.«
    Ein Fisch sprang hoch; die Ringe, die sich im Wasser bildeten, fingen das Sternenlicht ein und ein goldener Schimmer breitete sich vor dem dunkler werdenden Himmel aus. May lauschte, bis das Plätschern verklang, wartete darauf, dass Martin fortfuhr.
    »Mein Vater lebte damals in Toronto, unweit der Klinik. Wir waren nicht gerade ein Herz und eine Seele, aber wir hatten wieder Kontakt miteinander. Es hatte lange gedauert, bis ich ihm verziehen und ihm erlaubt hatte, bei meinen Spielen zuzuschauen, obwohl ich es mir mehr als alles in der Welt wünschte. Er hatte meine Mutter wie ein Stück Dreck behandelt, und zum Teufel – ich fühlte mich jedenfalls als Familienvorstand und nahm meine Rolle ernst. Aber er gab nicht auf. Schickte ständig Karten und Briefe, und als er herausfand, dass er eine Enkelin hatte, gab es kein Halten mehr. Er war ganz vernarrt in Natalie. Besuchte sie, so oft sich ihm die Gelegenheit bot.«
    »In Santa Monica? Trotz der Entfernung?«
    »Ja. Und sie liebte ihn. Sie gab ihm eine zweite Chance, was ich nie konnte. Er war ihr Grandpa, hatte ihr ein Puppenhaus in Lebensgröße gebaut, mit einer richtigen Türglocke und einem Kühlschrank für ihre kleinen Leckereien. In Nats Augen war er unfehlbar.«
    »Sie hat euch miteinander versöhnt? Deinen Vater und dich?« So sollte es in einer Familie sein, dachte May: Liebe und verschiedene Generationen, die Brücken schlugen und die Risse der Vergangenheit

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