Was am Ende bleibt
dessen Anwesenheit sie völlig aufgerieben hätte, in eine Rumpelkammer abgeschoben. Sie wollte ihn gerade beruhigen – sie überlegte noch, was sie sagen sollte –, als er sie fragte, was genau Charlie Freitagnacht zu ihr gesagt habe.
Er würde sie das immer wieder fragen, dachte sie, und sie würde immer wieder unfähig sein, es ihm zu erzählen. Sie erinnerte sich nicht mehr daran, was Charlie ihr Freitagnacht gesagt hatte.
«Nicht viel über dich, außer dem, was ich dir schon erzählt habe.»
«Was er über mich gesagt hat, ist egal. Er hatte irgend etwas vor, denn er hat mit
dir
gesprochen.»
Draußen klarte es auf. Durch das Fenster sah sie einen Streifen Sonnenlicht, der auf dem Dach ihres Autos und auf einem neben ihnen parkenden verschmutzten roten Cadillac immer breiter wurde. Auf der Suche nach dem Besitzer des Lokals ließ sie den Blick schweifen. An der Theke saß ein Paar in mittleren Jahren, pummelig und auffallend gekleidet.
«Was sollte er mit mir vorgehabt haben?»
«Unordnung. Unordnung stiften.»
«Weißt du, wie du klingst? Wie jemand, der gerade geschieden wurde und sich sagt, daß seine ganze Ehe eine einzige Qual war.»
Otto seufzte. «Könnte stimmen.»
Sie standen auf, und Otto ging zu der dösenden, in Sonnenlicht gebadeten Kassiererin, um zu bezahlen. Sophie schob sich an dem Paar mittleren Alters vorbei und hörte den Mann mißmutig murmeln: «I.Q.! Verdammt noch mal! Wenn er nicht arbeitet, interessiert es doch keinenMenschen, wie intelligent er ist!» Der Nachttopfhut der Frau schien sich etwas über ihren Kopf zu erheben. Ihr Mund schnappte zu, als habe sie einen Faden abgebissen.
Auf ihrem Weg zum Mercedes blickte Sophie durch das Fenster des Cadillac und sah nebeneinander auf dem Vordersitz eine große Schachtel Kleenex und einen schlafenden Pekinesen.
«Ich will, daß Charlie ganz verschwindet», sagte Otto, während er losfuhr. «Stillschweigend verduftet.»
«Die Leute scheinen immer ein großes Getöse zu machen, wenn sie gehen», sagte sie – außer Leute wie ich, dachte sie für sich und erinnerte sich daran, wie demütig und stumm sie sich von Francis davongeschlichen hatte. Aber schließlich hätte sie ohnehin nichts ändern können. Doch für einen bitteren Augenblick hatte sie sich in der alten, quälenden Frage verfangen: Was wäre passiert, wenn Francis frei gewesen wäre? Wenn die Tür aufgegangen wäre, hätte sie die Schwelle überschritten? Sie blickte hinüber zu Otto. Francis hatte sich ihr nicht nur selbst entzogen. Er hatte sie auch um ihre Gewißheit über Otto gebracht.
«Warum muß er mich fertigmachen?»
«Tut er das?»
Er seufzte. «Nein. Aber ich trage blaue Flecken davon … Leute, die ich seit Jahren kenne, erkundigen sich bei meiner Sekretärin nach meiner Gesundheit. Das empört mich.»
«Die Mandanten, die bei dir bleiben, werden das sehr schnell vergessen. Die Leute denken nicht so viel über andere Leute nach.»
«Wenn du Rechtsanwalt bist, dann schon. Wenn sie Probleme haben, dann schon. Ich wäre besser dran, wenn ich meinem Vater ähnlicher wäre. Er hatte sein Leben auf die Annahme aufgebaut, daß von nichts nichts kommt.Und über ihn brach die Hoffnung so herein, wie über das Leben anderer Menschen die Enttäuschung hereinbricht. Er haßte die Hoffnung. Sie entmannte ihn. Rechne immer mit dem Schlimmsten, mein Sohn, und du wirst niemals enttäuscht werden … Ich war im Krankenhaus, an seinem Bett, als er starb. Er konnte weder sprechen noch sich bewegen, und eine Seite seines Gesichts war gelähmt. Aber er unterbrach dieses Koma gerade lange genug, um mir ein schiefes Lächeln zuzuwerfen. Ich wußte, was er damit sagen wollte. ‹Siehst du? Siehst du, wie alles endet?›»
«Wir nehmen die nächste Ausfahrt.»
«Ich weiß …»
Sie fuhren um eine kleeblattförmige Kreuzung und bogen dann in eine Allee ein.
«Jetzt ist es nicht mehr weit», sagte Otto aufgeräumt. «Wir werden es schon schaffen. Vielleicht wird es eine Zeitlang etwas knapp mit dem Geld. Zwei Leute, mit denen ich gerechnet habe, sind zu Charlie gegangen. Aber da hat sozusagen ein Austausch stattgefunden.» Er lachte und fuhr fort: «Du solltest sehen, was ich im Austausch bekommen habe. Ich hätte ihr sagen können, daß sie besser zu jemandem anderen gehen solle, weil ich mich mit solchen Problemen nicht befasse. Aber sie war so verdammt hilflos. Charlie hatte sie vernachlässigt, sie war ihm langweilig geworden, nehme ich an – Charlie wird es schnell
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