Was am See geschah
Boy seit der Volksschule befreundet waren. Boy Chalmers war nur ein Freund.«
»Mehr ging nicht bei dem«, murmelte Butts in Richtung der stillen Krankenhauskorridore, wo die Schwestern lautlos ihre Patienten bearbeiteten.
Sam hatte kaum gewagt, einen Muskel zu bewegen oder zu blinzeln, aus Angst, daß er den Gesprächsfluß zwischen den beiden unterbrechen könnte. Jetzt ließ er die Vorderbeine des Stuhls sinken, auf dem er sich nach hinten gekippt hatte. Das winzige, verschlagene Lächeln auf Carl Butts’ Gesicht verschwand bei Sams Bewegung; er schaute flüchtig zu Sam hinüber, und seine Kiefer preßten sich zusammen wie ein Schraubstock. Sam sagte nichts.
Loreens Mutter redete weiter, ohne darauf zu achten, was ihr Schwiegersohn damit meinte. »Ehrlich gesagt - ich will dich damit wirklich nicht ärgern, Carl -, aber ich hab immer gedacht, daß Loreen und Boy vielleicht eines Tages... du weißt schon.« Ihre Augen weiteten sich, das kalte Blau war von einem Tränenschleier überzogen. Sie zog wieder ihr Taschentuch heraus und knetete es im Schoß.
Butts sagte nichts, aber Sam sah die Falten um seinen Mund. Er blickte auf seine Schuhe.
Zu Sam sagte Ma Gris: »Ich will Ihnen was von Loreen erzählen. Das Mädchen war schüchtern. Still und schüchtern.« Sie fuhr herum, um ihren Schwiegersohn anzufunkeln. »Und versuch’s nicht darzustellen wie die Zeitungen - daß meine Loreen ein Flittchen gewesen wär!« Das war wieder der gleichmäßige, vernichtende Ton von vorhin, und die letzten Worte sausten unerbittlich wie ein Hackbeil herab.
Carl Butts zuckte zusammen. »Das hab ich nie gesagt. Nie, das weißt du.«
»Aber schlau«, fuhr sie fort. »Loreen war wahnsinnig schlau. Gescheit. Hätte Schauspielerin werden können.« An dieser Stelle schaute sie auf den Bildschirm, auf das verdoppelte Bild des Mädchens mit dem toffeefarbenen Haar. »Besser als die da. Hätte die in die Tasche gesteckt. Hätt besser sein können als Jane Wyman und Krystle zusammen.«
»Na ja, sie hat einen Mann schon anmachen können, Ma; das weißt du auch.« Er klang fast entschuldigend. »Scharf wie ’ne Peperoni war sie manchmal.«
Die Frau kreischte fast: »Red nicht mehr so über meine Loreen! Ja, sie hat einen anmachen und reizen können, aber nur, wenn man sie dazu gebracht hat, Carl Butts. Es ist schlicht gelogen, wenn du was anderes behauptest.«
»Ma Gris, ich hab doch nur gemeint -«
Aber was er nur gemeint hatte, machte keinen Eindruck auf sie. Zu Sam sagte sie: »Die sehen das alle völlig falsch - die Zeitungen, die Polizei.« Und plötzlich setzte sie sich so abrupt zurück, als hätte Butts ihr die Faust in die Brust gerammt. Ma Gris hatte sich offensichtlich daran erinnert, daß sie sich hier gegenüber einem Polizisten über die Polizei ausließ. »Aber was wollen Sie denn eigentlich von uns, Mr. De-Gien?« Jede Silbe war mit Verachtung getränkt.
»Entschuldigen Sie, Mrs. Grizzell. Wissen Sie, ich stimme Ihnen da irgendwie zu - daß wir das alles falsch sehen. Schauen Sie, ich hab mich mit Boy Chalmers unterhalten, und er machte mir nicht den Eindruck, als sei er zu so was fähig.«
»Verdammt, war er auch nicht!« Butts brüllte schon fast. Seine Eifersucht, seine in Frage gestellte Männlichkeit überwältigten seine Vernunft. »Das ist doch ein warmer Bruder!«
Ma Gris wurde blaß. »Carl Butts!«
Mit der fiesesten Miene, die Sam je gesehen hatte, beugte er sich zu ihr hinüber. »Schwuler geht’s gar nicht. Boy, der Schönling. Hat alle an der Nase rumgeführt.«
»Inklusive Loreen. Ist das Ihre Meinung?« fragte Sam.
Die Schwiegermutter öffnete und schloß unablässig den Mund, wie die Schwester mit den aufgerissenen Augen auf dem Bildschirm. Sie war sprachlos.
Butts fuchtelte mißbilligend vor Sam herum. »Ach, zum Teufel, Mann. Frauen kriegen das fast nie mit. Ein echter Mann merkt’s, das ist alles.« Und er musterte Sam von oben bis unten, als wolle er auch an seiner Männlichkeit Zweifel anmelden, weil Sam Boy Chalmers offensichtlich nicht durchschaut hatte.
Aber der Ausdruck änderte sich, als Sam sagte: »Also glauben Sie beide nicht, daß er der Täter ist.«
Nur das Knarren des Schaukelstuhls war in der Stille zu hören; und sogar das verstummte schließlich. Weder er noch sie sah Sam in die Augen.
Sie wußten, was er dachte: daß sie beide geschwiegen hatten, weil der andere Hauptverdächtige Carl Butts war.
Butts begann sich vor dem schweigenden Sam zu rechtfertigen. »Na ja,
Weitere Kostenlose Bücher