Was am See geschah
grinste fies. »Tja, ich glaub, ich weiß, was Ihr Problem ist. Sie haben den Mörder von Eunice Hayden nie gefunden, und nun gönnen Sie Sheriff Sedgewick nicht, daß er rausgekriegt hat, wer die anderen zwei umgebracht hat. Stimmt’s?«
»Nein, stimmt nicht.«
Sims’ Argumentationsweise bestand darin, Antworten zu ignorieren und sich zu wiederholen: »Sie haben also den Mörder der kleinen Hayden nie gefunden und wollen jetzt ein bißchen Staub aufwirbeln und den Eindruck erwecken, als leiste Sheriff Sedgewick da drüben keine gute Arbeit!«
»Das könnte ja durchaus den Tatsachen entsprechen, daß der falsche Mann im Gefängnis sitzt. Und ich glaube auch, daß die Justiz zur Abwechslung mal eine auffällige Eile an den Tag gelegt hat.«
»Was soll das denn nun wieder heißen? Wollen Sie andeuten, daß da was faul ist?«
»Ich sage nur, Boy Chalmers saß bereits im Gefängnis, als die Geschworenen aus der Beratung kamen.«
Das war viel zu kompliziert für Sims. Er starrte Sam mit zusammengekniffenen Augen an und schmiß seinen Kugelschreiber hin. »Meine Güte, Sie sind ja ganz schön unverschämt. Es gibt keinerlei Beweise dafür, daß Boy Chalmers Eunice Hayden überhaupt je getroffen hat. Das hat mit diesen zwei anderen Fällen nichts zu tun. Nicht mal unsere Staatsanwältin ist an Chalmers’ Alibi vorbeigekommen, und die gehört wirklich zu den Zähesten.«
Sims liebte Billie Anderson, die genauso politisch war wie er. Sims war zu dumm, um zu erkennen, daß sich seine Argumentation im Kreise drehte. Der Umkehrschluß war nämlich, daß Boy Chalmers, wenn er Eunice Hayden nicht umgebracht hatte, höchstwahrscheinlich auch die beiden anderen Frauen nicht getötet hatte. Doch Sam sagte bloß: »Es gibt auch keinen Beweis dafür, daß Chalmers Antoinette Perry gekannt hat. Man hat das nur angenommen, nicht wahr?«
Offensichtlich war der Bürgermeister so überzeugt, im Recht zu sein, daß sein Ärger verflog und sein kleiner, feuchter Mund sich zu einem perlweißen, kleinen Lächeln verzog, während er sich zurücklehnte und die Hände hinter dem Kopf verschränkte. »Also, Sie schießen wirklich den Vogel ab, Sammy. Zuerst einmal: die Perry und die Butts, die sind vergewaltigt worden. Eunice wurde nicht vergewaltigt.«
»Oh. Wie würden Sie dieses Messer, das in ihr gesteckt hat, denn bezeichnen? Als ›sexuelle Belästigung‹?«
»Passen Sie auf, was Sie sagen, DeGheyn. Der Doktor hat gesagt, daß sie nicht vergewaltigt wurde. Ich bin zwar kein Polizeibeamter wie Sie, aber sogar ich hab schon mal was von einer amtsärztlichen Untersuchung gehört. Und warum hat er dann mit der Hayden nicht das gleiche gemacht wie mit den anderen? Erklären Sie mir das doch mal.« Bürgermeister Sims zog ein paar Papiere zu sich heran und begann, sie zu unterschreiben - womit er zu verstehen gab, daß das Gespräch für ihn beendet war.
»Verschwinden Sie jetzt, und kontrollieren Sie die Parkuhren.« Er blickte auf. »Vielleicht brauchen Sie einfach mal Urlaub, Sammy.«
Was soviel hieß wie: Halten Sie sich da raus, oder ich werde dafür sorgen, daß Sie Urlaub machen. (Sam hatte kein Entgegenkommen erwartet, und so war er nicht sonderlich enttäuscht; und was die Drohung anging, die war ihm schnurzegal.
Aber Sam hielt sich nicht raus; er stellte weiter Fragen über Boy Chalmers. Dabei fand er heraus, daß Boy sich nie ernsthaft verliebt hatte, obwohl ihn alle sehr mochten - ein Mädchen meinte, er sehe aus wie Robert Redford, und redete von ihm, als könne seine Gefangenschaft einfach nicht wahr sein, es sei eher wie im Film, und vielleicht würde ja Paul Newman vorbeischneien und Boy da irgendwie rausholen.
Und vor zwei Monaten, Ende Juni, war Boy rausgekommen. Allerdings nicht durch Paul Newman, sondern durch Alexis Beauchamps Chalmers.
Vor gut zwei Monaten, Ende Juni, hatte Boys Mutter ihren Sohn im Gefängnis besucht. Es war Boys Geburtstag, und man hatte Alexis erlaubt, ihm einen Kuchen mitzubringen. Oh, es steckten keine Feilen, Messer oder Knarren drin; man hatte ihn bereits ziemlich zerhackt und irgendwie wieder zusammengespachtelt, als Alexis und Boy sich hinsetzten, um die unangezündeten Kerzen auszublasen.
Doch weil es sein Geburtstag war und weil Boy sich vorbildlich geführt hatte, erlaubte man ihnen, in einer Zelle zu feiern, vor der eine Wache saß.
Der Wachposten erzählte seinen Vorgesetzten später, daß Mrs. Chalmers ihm sogar ein Stück Kuchen angeboten habe - eine wirklich nette Frau,
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