Was am See geschah
zog die Schublade heraus. Es waren bestimmt zwei Dutzend. Die weißen Seidenschals schimmerten im ungleichmäßigen Licht. Chad zog einen heraus und warf ihn Zero hin. Wie hätte er annehmen können, Zero habe nur einen, wo er ihn doch immer umhatte und er trotzdem immer frisch wirkte?
»Danke.« Zero drapierte sich den Schal um den Hals und sagte: »Komm mal rüber!« Er hatte die andere Seite der Kommode geöffnet - auf beiden Türen waren facettierte Spiegel-, beugte sich hinunter und musterte seine Schuhe. »Schau mal. Ich hab hier zwei Paar Docksiders, die ich fast nie anziehe. Ich glaub, sie sind in zwei verschiedenen Größen, weil Eva sie eingekauft hat und nicht wußte, was für eine Schuhgröße ich habe. Ob sie mich wohl bei einer Gegenüberstellung erkennen würde?« Einen Moment lang schwieg Zero. »Probier sie an!«
»Danke, nein.«
»Jetzt red keine Scheiße. Es ist doch meine Schuld, daß du die Schuhe verloren hast.«
»Du konntest nicht wissen, daß das Boot kentern würde. Du hast unseren Badeausflug nicht geplant.«
Zero ließ die Schuhe fallen. »Verfluchte Scheiße, warum streiten wir uns? Hier sind zwei Paar von den verdammten Schuhen, und ich weiß, daß dir eins davon paßt, Aschenputtel, weil es mir eine Nummer zu groß ist. Ich kann die Schuhe sowieso nie anziehen.«
Warum stritt er sich weiter herum? Er wußte es nicht. »Ich werde sie schon finden.«
»Sie sind auf dem Grund von diesem Scheißsee, du Idiot.« Zero lehnte mit verschränkten Armen an der Kommode und versetzte den Docksiders ein paar Tritte. »Willst du eine Schnorchelausrüstung, oder was?«
Chad setzte sich auf. »Hast du eine?«
»Du bist wahnsinnig, Junge. Du bist noch verrückter als ich. Nein, ich hab keine. Aber ich bin sicher, daß irgendwo eine rumliegt. Pop und seine Spezis, die haben sicher so was. Schick sie runter zum Nachgucken. Die wären begeistert. Also, was ist jetzt mit den Schuhen?«
Chad zuckte die Achseln. »Es geht um was anderes.«
»Dieses andere scheint es wert zu sein, mehr drüber zu erfahren.« Inzwischen hatte sich Zero wieder aufs Bett fallen lassen, die Hand ausgestreckt und die Tür eines Walnußnachttisches geöffnet, in dem sich ein Kühlschrank verbarg. Er riß ein Bier heraus und warf es Chad zu. »Los, erzähl!«
»Wovon?«
»Von diesem anderen , natürlich. Was immer es ist, weswegen du so an diesem beschissenen Paar Schuhe hängst.«
Chad umging die Antwort durch eine Frage: »Wo ist Casey?«
»Wahrscheinlich ist sie in ihrem Zimmer und erfindet die Guillotine zum zweitenmal.«
Es klopfte kurz, und fast gleichzeitig flog die Tür auf.
Sie kam, als hätte man sie gerufen. Casey stand im gleichen schwarzen Kleid, mit immer noch nassen, von Grasstückchen verunzierten Haaren als Silhouette im von hinten erleuchteten Eingang.
»Scheint auch fertig zu sein«, sagte Zero. »Du siehst ja auch nicht gerade frisch aus. Wo warst du?«
»Unten, wie es sich gehört. Die ersten gehen schon.«
»Gut. Dann kann ich mich ja wieder ausziehen.«
»Du könntest zumindest mal runtergehn«, sagte sie gelangweilt. Immer noch stand sie herum und drehte am Türknauf. Dann sagte sie: »Ich sterbe.«
Zero, der um ein Haar gegen die Sprechanlage gestoßen wäre, drehte sich rasch um und starrte sie an. Er ließ den Kopf aufs Kissen zurückfallen. »Schon wieder?«
Sie kam nicht ins Zimmer herein. Chad beugte sich nach vorne, aber er konnte ihren Gesichtsausdruck nicht erkennen. Ihre Stimme jedoch klang ziemlich tödlich.
»Ich sterbe. Wenn du das so verdammt lustig findest -«
»Red nicht so einen Quatsch.« Zero warf sich den Arm vors Gesicht.
»Du machst das doch ständig. Auch nicht gerade ein gutes Vorbild!«
»Bessere wirst du hier nicht finden. Was ist es denn diesmal?«
»Dir ist es ja sowieso egal, wenn ich sterbe.«
»Beim letzten Mal wolltest du auf diese Männerparty gehen, am Tag vor der Zeugnisverleihung.«
»Ich wette, ihr habt Pornofilme gesehen.« Casey pflückte einen Grashalm aus ihrem Haar.
»Killerfilme.«
»Du bist zum Kotzen.«
»Du hast anscheinend vergessen, daß du zehn warst und wir schon einundzwanzig. Damals war es... ja, rheumatische Arthritis, und du bist an zwei Stöcken gegangen.«
»Ich hatte große Schmerzen«, sagte sie steif.
»Weil du von diesem verdammten Pferd da draußen gefallen bist, auf das sich nicht mal Kent Desormeaux rauftrauen würde. Dann bist du an etwas gestorben, das du als ›subliminales Hämatom‹ bezeichnet hast. Es
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