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Was am See geschah

Was am See geschah

Titel: Was am See geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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heißt übrigens ›subdural‹.«
    »Ich hatte einen Unfall und hab mir den Kopf verletzt, und es hat Monate gedauert, bis ich wieder wußte, was eigentlich passiert war. Weißt du nicht mehr, wie benebelt ich war? Also gut, ich sterbe, und dir ist es egal. Wenn du siehst, wie ich wie sie am Ufer vorbeitreibe, dann wird es dir noch sehr, sehr leid tun.«
    Zero gähnte. »Jaa. Tja, es tut mir schon jetzt leid. Wenn’s also passiert, dann weißt du, es hat mir leid getan.«
    »Zuerst muß ich noch wahnsinnig werden.« Ihre Stimme klang zornig, aber lebhaft - wahrscheinlich ihre Vorstellung von der Stimme einer Wahnsinnigen.
    »Hoffentlich werd ich auch dabei sein. Und an was stirbst du diesmal?«
    Sie zögerte ein wenig. »An Aids.«
    Sie waren noch immer am Spielen, Schüssel und Krug waren wieder aufgefüllt und die drei Lücken im Kreditkartenspiel offensichtlich geschlossen.
    In den wenigen Augenblicken, die Chad gebraucht hatte, die Treppe hinunterzusteigen, hatte er eine Entscheidung getroffen. Er würde morgen (nein, noch heute) fahren; er würde zurückfahren nach La Porte, und wenn er trampen mußte; er würde die Uni verlassen, zumindest für ein Jahr. Und er würde zu seiner Mutter ziehen. Oder vielleicht konnte er auch, wenn er sich dort zu abhängig fühlte, ein Zimmer in Hebrides finden und durch Malerjobs ein Jahr lang Geld zusammensparen.
    Und in diesem Augenblick trocknete der Strom der Schuld einfach ein. Doch seinen Platz nahm ein anderer, von einer anderen Quelle gespeister Strom ein. Jetzt fühlte er sich - ausgerechnet - gegenüber Zero schuldig. Weil er ihn im Stich ließ.
    Seine Hand griff in die Hintertasche und tastete nach den hundert Dollar, die er für die Reise gespart hatte. Seine Mutter hatte ihm einen Zwanziger gegeben (»falls du den Angestellten Trinkgeld geben mußt«).
    Die Gesichter in der Runde blickten zu ihm auf und lächelten, Chad lächelte zurück. Sie schienen glücklich wie die sieben Zwerge, als Schneewittchen ihnen ihren Besuch abstattete. Dann schaute er auf die große Waterford-Schüssel und das sich darin bildende Schmelzwasser; und dann direkt hinüber zu Mr. Bond, der seine Kreditkarten in der erhobenen Hand hielt und sie in einer kleinen wellenartigen Bewegung drehte.
    »Geben Sie mir Karten.«
    Chad leerte drei Waterford-Krüge Martini, bluffte bloß mit einem Paar Diners Mr. Sardinias AmEX-Flush; stach Brandons zwei Lloyds mit drei Visas.
    Als eine der Bondschen Angestellten ihm auf die Schulter tippte und sagte, Mrs. Bond wünsche ihn in der Bibliothek zu sehen, da saß Chad mit zweihundertfünfzig Dollar - in diversen Garderobenmarken vom »Pierre’s«, vom »Vier Jahreszeiten« und vom »Au Pied de Cochon« in Paris - am Tisch.
    Und er hatte die Regeln immer noch nicht kapiert.

3
    E va Bond stand an der Terrassentür hinter dem Schreibtisch und starrte ins Leere. Das heißt, in die dunklen Glasscheiben, soweit Chad das sehen konnte.
    »Ich hatte Angst, Sie würden verlieren«, sagte sie.
    »Das hätten die anderen bestimmt nicht zugelassen.« Er lächelte.
    Sie trug einen dünnen, sauerrahmfarbenen Mantel, der so schlicht war, daß er fast billig wirkte. Es war ein Mantel, wie sie ihn vielleicht im alten Emporium in Hebrides vom Ständer hätte reißen können - einem kleinen Kaufhaus, das jetzt geschlossen war und wo alles dünn, ärmlich und altmodisch ausgesehen hatte, sogar die Verkäuferinnen und die Wände. Chad war vor ein paar Jahren hingegangen, um seiner Mutter ein Geburtstagsgeschenk zu kaufen. Es waren nur zwei oder drei Kunden dagewesen, aber der Geschäftsführer und die Angestellten schienen einfach zu ignorieren, daß das Geschäft zurückgegangen war. Der Geschäftsführer hatte ein Sträußchen - eine weiße Nelke - im Knopfloch stecken. Die Verkäuferinnen trugen alle gestärkte weiße Kragen aus Leinen oder Spitze, aber keinen Schmuck. Als er in dem kühlen, dunklen Laden von Tisch zu Tisch (Schals, Handschuhe, Glaswaren und Porzellan) ging, sprachen sie mit leisen und angenehmen Stimmen und hantierten mit ihren billigen Waren, als handele es sich um Seide und Sèvres-Porzellan.
    Zuerst hatte er einen Schal gekauft. Dann ein Paar braune Baumwollhandschuhe, die die Verkäuferin aus der Vitrine geholt hatte, wo sie unter anderen in Plastikschachteln verpackten Handschuhpaaren lagen. Dann ein langstieliges Glas in der Porzellan-und-Glas-Abteilung. Die Frau dort hatte es anscheinend überhaupt nicht komisch gefunden, daß er nur ein einziges

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