Was bin ich wert
Kosten-Nutzen-Rechnungen in Sicherheitsfragen. Daimler schreibt, daß man auf solche Fragen grundsätzlich keine Antworten gebe. Ein Sprecher von VW schreibt, Kosten-Nutzen-Rechnungen »müßten ja im Grunde unsere Kundenfür sich selbst machen, um dann zu entscheiden, wieviel sie in Sicherheit investieren«. Ein Gedanke, der offensichtlich auch dem Mann von BMW Sorgen macht, der beobachtet hat, daß in Zeiten der konsumhemmenden Wirtschaftskrise Sicherheitsaspekte beim Autokauf immer öfter vernachlässigt werden.
Soweit zum Wert eines Menschenlebens im Kontext von Sicherheitskalkulationen. Was ich allerdings bei all den Recherchen gern mal wieder gehabt hätte, wäre eine Zahl nur für mich gewesen, ein ganz persönlicher Wert. In einer Zeitungsannonce bleibe ich an dem Satz »Für alle, die ihr Eigenkapital im Kopf tragen« hängen. Damit wirbt die Frankfurter Allgemeine Zeitung für ihren Stellenmarkt. Das dazugehörige Stichwort auf meinem Zettel lautet »Humankapital«. Ich wüßte gern, ob ich so was brauche? Ob ich vielleicht schon eins habe? Und wenn ja, was ich humankapitalistisch wert bin?
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»Wenn man Zahlen foltert, gestehen sie alles.« Gespräch mit zwei Humankapitalisten
Ich besuche eine Konferenz, von der ich mir zu diesen Fragen eine Antwort erhoffe. Es ist ein Forum, gar ein »Zukunftsforum« unter der Überschrift »Innovationsfähigkeit«. Ein heller, gut 100 Quadratmeter großer Seminarraum im Untergeschoß des Berliner Congress Centers am Alexanderplatz. Die Veranstaltung beginnt mit dem Power-Point-Klassiker »Probleme mit der Technik«. Nach wenigen langen Minuten und vielen tollen Tipps funktioniert es. Ein eleganter Professor vom Bundesinstitut für Berufsbildung gibt eine Einführung zum Thema »Wandel der Beschäftigung – Lebensarbeitskonzepte und Personalmanagement«. Dabei geht es um »Veränderungsbereitschaft« und »lebensereignisorientiertes Personal- beziehungsweise Selbstmanagement« vor allem auch von Freiberuflern mit »brüchiger, nicht linearer Erwerbsbiographie«. Das sind so Leute wie ich. Ganz beiläufig – quasi ein Auftritt über die Hintertreppe – fällt er, der Begriff, auf den ich gewartet habe: Humankapital.
Später taucht er noch einmal bei einem anderen Professor auf, als der einen Bericht der Weltbank zitiert, der wegen der hohen privaten Renditen Studiengebühren verlangt, aber auch einräumt: »Da Humankapital nur begrenzt beleihbar ist, soll der Staat Darlehen bereitstellen.« Selbst benutzt der Professor den Begriff nicht. Vielleicht weil er keinen Ärger will.
Im Jahr 2004 wurde »Humankapital« nämlich von der Gesellschaft für deutsche Sprache zum »Unwort des Jahres« erklärt. Die Jury beklagte, der Begriff habe sich ganz offiziell »auch in nichtfachlichen Bereichen ausgebreitet und damit die primär ökonomische Bewertung aller denkbaren Lebensbezüge« gefördert, »wovon auch die aktuelle Politik immer mehr beeinflußt wird. Humankapital degradiert nicht nur Arbeitskräfte in Betrieben, sondern Menschen überhaupt zu nur noch ökonomisch interessanten Größen.« Die deutschenÖkonomen waren über diese Auszeichnung nicht sonderlich erfreut. Ihnen sprach die Frankfurter Allgemeine Zeitung aus der Seele, die die Unwort-Jury zu den »geistigen Totengräbern unserer Volkswirtschaft« ernannte. Doch worum geht es eigentlich?
Der Humankapitalansatz, Hannes Spengler nannte ihn »Produktivitätsansatz«, definiert den Wert eines Lebens strenggenommen über das Markteinkommen, das in diesem Leben erzielt wird. In Erweiterung dieser sogenannten »Bruttomethode« werden bei der Berechnung des Netto-Humankapitals vom zukünftigen Arbeitseinkommen noch die zukünftigen Ausgaben eines Individuums abgezogen. In den USA dient er, das wurde bei der Geschichte um Kenneth Feinberg und den 11. September deutlich, als Grundlage zur Berechnung von Entschädigungszahlungen.
Die Grundlagen der modernen gesamtwirtschaftlichen (makroökonomischen) Humankapitaltheorie wurden Mitte des letzten Jahrhunderts vor allem von den Wirtschaftswissenschaftlern und späteren Nobelpreisträgern Gary Becker (1964) und Theodore William Schultz (1978) gelegt. Sie betonen die Bedeutung von Bildung und Wissen für das langfristige Wachstum einer Volkswirtschaft. In diesem Zusammenhang läßt sich das vergleichsweise schlechte Abschneiden deutscher Schüler bei international vergleichenden Studien zum Bildungserfolg – Stichwort »Pisa« – als Hinweis auf massive Probleme
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