Was bisher geschah
oder albern. Auch Weltbilder wandeln sich rasch und umfassend wie selten zuvor. So wirft Charles Darwin mit seinem Buch Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl (1859) alte Glaubenssätze über den Haufen. Die Vorstellung von einer Evolution und dem Affen als Vorfahren des Menschen lässt das Bild von der biblischen Schöpfungsgeschichte, die Idee von einem göttlichen Plan und einer im Wesentlichen unveränderlichen Welt hinfällig werden.
Auf dem religiösen Feld geht die globale Pubertät mit Trotzreaktionen einher: So bekräftigt der Vatikan die unbefleckte Empfängnis Marias (1854) und die päpstliche Unfehlbarkeit (1870), und zwar just in einer Zeit, in der Gott für tot erklärt wird, man bei der Empfängnisverhütung Fortschritte macht und Röntgenstrahlen ab 1895 neue Durchblicke ermöglichen. Doch gibt es auch kreativere Ansätze als Trotz, um der Verwandlung der Welt beizukommen. Dazu zählen Gründungen wie die Theosophische Gesellschaft von Helena Blavatsky 1875, die Weltreligionen, okkultistische, spiritistische Elemente und Grenzwissenschaftliches zu einem neuen Glauben der Wahrheit und Toleranz verbinden will. Zum Religions ersatz werden frische Denkansätze wie jene von Hegel, Marx und Nietzsche, ein allgemeines Rechtssystem – und die romantische und moderne Kunst. Der Sport entwickelt sich zu dem, was er bis heute ist, zur schichtenübergreifenden Massenunterhaltung, die mit kultureller und gesellschaftspolitischer Bedeutung aufgeladen werden kann. Machtpolitisch verkörpert den Übergang von der alten zur neuen Welt beispielhaft ein Herrscher, der seine Karriere schon im 18. Jahrhundert beginnt: Napoleon Bonaparte (1769 – 1821).
Weltseele, Feldzüge, Müllabfuhr: wie Napoleon und Hegel in Europa aufräumen wollen
Napoleon prägt zu Beginn des 19. Jahrhunderts ganz Europa. In einer Mischung aus Idealismus und Menschenverachtung verantwortet er den Tod von Hunderttausenden – und setzt langfristig eine moderne Verwaltung und Rechtsprechung durch. Furios ist die Karriere des kleinen Mannes aus Korsika insofern, als er vom Heerführer der Französischen Revolution zum Konsul aufsteigt, sich 1804 zum Kaiser krönt, Europa modernisiert, um am Ende im Exil auf der Insel St. Helena zu landen.
Bis 1812 ist Napoleons Machtpolitik eine Erfolgsgeschichte. Er drängt die Habsburger in Italien zurück. Für territoriale Verluste auf deutschem Gebiet entschädigt er Fürsten im Rahmen des Reichsdeputationshauptschlusses 1803 durch die Verweltlichung (Säkularisierung) von Kirchengütern. In der Dreikaiserschlacht besiegt Napoleon bei Austerlitz 1805 Österreich und Russland. Durch Eroberungen in Europa weitet er den Einfluss des Code Civil ( Code Napoleon ) aus. Das Gesetzbuch garantiert Rechtsgleichheit, die Trennung von Kirche und Staat, den Zugang zu Ämtern durch Leistung statt Geburt sowie Gewerbefreiheit. Auf kulturellem Feld betreibt Napoleon mit dem Empirestil wirksame Imagepflege. Viele Diktatoren nach ihm werden ihm folgen und die Kunst verstärkt für ihre Propaganda einspannen. Mit ägyptischen und römischen Elementen verdeutlicht das Empire den imperialen Machtanspruch und ist zugleich relativ schlicht und modern.
Mit Hilfe des Rheinbundes, dem ab Juli 1806 mehrere süd- und westdeutsche Fürstentümer angehören, und der Erhebung von Bayern und Württemberg zu Königreichen sammelt Napoleon Mächte um sich, die ihm gewogen sind. Als Folge legt Kaiser Franz II. am 6. August 1806 die Kaiserkrone des römisch-deutschen Reiches ab und beendet damit nach rund 1000 Jahren die Geschichte dieses merkwürdigen Konstrukts. In Preußen regen die Franzosen Reformen an. Dazu gehören die Bauernbefreiung unter Minister Freiherr vom Stein, die Gewerbefreiheit (1810) von Fürst von Hardenberg und die rechtliche Gleichstellung der Juden (1812).
Auch weil man Napoleon als ausländischen Unterdrücker empfindet, tendiert der deutsche Nationalismus langfristig allerdings stärker als der französische und englische zu Überspanntheit und Aggressivität. Insgesamt tragen Denker des deutschen Idealismus wie Fichte, Schelling und Hegel zur Konzentration auf eine freie Bewusstseinsbildung statt auf eine politische Diskussion oder republikanischen Ethos bei. Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 – 1831) hat einen Sonderstatus, den größten Einfluss in seiner Zeit und bis heute. Er will über das schwärmerische, assoziative und ironische Denken von Romantikern wie den Brüdern Schlegel und
Weitere Kostenlose Bücher