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Was Bleibt

Was Bleibt

Titel: Was Bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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erfragte und erhielt Auskunftüber ihren Vater. – And what about Yourself, Ma’am? – O marvellous, sagte ich, und sie sagte: Primiximo, worauf ich sie aufforderte, sich einer allgemein verständlichen Redeweise zu bedienen, was sie entrüstet ablehnte. Wie Sie denken, Frollein, sagte ich. Aber womit verbringen Sie Ihre müden Tage? – Oh, dear! sagte die jüngere Tochter. Bitte keine Indiskretionen! – Jetzt mal im Ernst: Schläfst du genug. – Aye, aye, Sir. – Gehst du auch mal schön spazieren. – Aye, aye, Sir. – Du, sagte ich, dies sag ich dir: Wenn ich eines Tages wegen seelischer Grausamkeit die Verbindung zu dir abbreche, dann wirst du im Rinnstein sitzen, und deine heißen Tränen werden fließen. Lady, sagte meine jüngere Tochter, das nehm ich mir aber jetzt entsetzlich zu Herzen.
    In der gleichen Sekunde legten wir beide auf. Mir war doch wohler. Ich sah aus dem Fenster. Da standen sie also immer noch. Mochten sie. Was mich betraf, ich würde jetzt Pause machen. Ich zog im Schlafzimmer die Vorhänge zu und legte mich ins Bett. Dies war eine der tief erleichterten Minuten des Tages. Kein fremder Mensch, kein fremder Blick, vielleicht nicht einmal ein fremdes Ohr folgten mir in diesen Raum. Ich genoß die unaussprechliche Wohltat, unbeobachtet und allein zu sein und keine Forderung an mich zu haben. Nicht denken, nicht arbeiten. Nichts herausfinden, nichts wissen wollen. Ruhig auf dem Rücken liegen, die Augenschließen, atmen. Atmen. Ich atme. Ich denke nicht. Ich bin ruhig.
    Mein innerer Blick fand einen hohen, fahlen Rundhorizont über einer dunklen Scheibe. Sollte das eine Bühne sein? Alle meine Gedanken wichen hin zu diesem Horizont. Schattenhaft flogen sie davon, große träge Fledermäuse. Sie schaffen es. Unsinn. Die kommen nicht weit. Die knallen sich die Köpfe ein. Der Horizont ist aus Marmor. Siehst du das nicht. Die kamen alle schön brav zu mir zurückgekrochen. Auf diese Weise werd ich sie nicht los.
    Auf welche Weise wird man Gedanken los. Indem man sie denkt. Denkt und wieder denkt. Durchdenkt. Zu Ende denkt. Gäbe es einen Apparat, der alle Hoffnung, die noch in der Welt ist, bündelt und wie einen Laserstrahl gegen diesen Horizont aus Stein richtet, ihn aufschweißt, durchbricht.
    Jetzt denkst du wie sie. Apparate, Strahlungen, Gewalt. Jetzt verlängerst du ihr bißchen Gegenwartsmacht in die Zukunft hinein. Dann hätten sie dich.
    Denkst du, das wüßte ich nicht? Denkst du, ich denke, daß ich das ganz Andere bin? Die Reinheit, Wahrheit, Freundlichkeit und Liebe? Denkst du, ich wüßte nicht, was die brauchen? Ich weiß es. Die wollen, daß ich ihnen gleich werde, denn das ist die einzige Freude, die ihrem armen Leben geblieben ist: andere sich gleich zu machen. Denkst du, ich spüre nicht, wie sie an mir herumtasten,bis sie den schwachen Punkt gefunden haben, durch den sie in mich eindringen können? Ich kenne diesen Punkt. Doch den sag ich niemandem, nicht einmal dir, und nicht einmal in Gedanken.
    Wie stellst du dir also deine Zukunft vor.
    Da flogen alle die großen schattenhaften Fledermäuse wieder auf, ein unheimlicher Schwarm.
    Weißt du wirklich nicht, daß man sich manche Wörter manchmal verbieten muß? Um sich nicht zu schwächen? Um nicht weich zu werden?
    Soll es also künftig um Härte gehen.
    Das Gegenteil von weich ist nicht hart. Das Gegenteil von weich ist unnachgiebig, fest.
    Hört sich phantastisch an. Und in welche deiner vielen Taschen zauberst du deine Angst?
    Mein bißchen Angst? Damit müssen wir leben. Wem das nicht paßt, der kann ja gehen. Und wer mir Angst machen will mit diesen Bildern, die er mir durch den Kopf jagt – seit einer Minute war der Rundhorizont verschwunden, ich sah vergitterte Räume –, wer mich damit fertigmachen will, der geht auch. Und zwar ganz schnell.
    Aha. Falls das eine Kündigung war – ich nehme sie an.
    Ich schlief dann doch noch ein. Die Bilder, die ich zuletzt sah, waren scharf abgegrenzte Ausschnitte eines männlichen Körpers, den ich kannte, unversöhnliche Liebesszenen, die mich im Wachzustand erstaunt hätten. Rücksichtslos führte einTraum mir vor, wie die Geburtshülle eines Embryos beschädigt wird, dazu hörte ich, in höhnischem Tonfall, die Worte: In einer Glückshaut geboren! Den Sinn verstand ich im Erwachen, doch wozu der Hohn? Warum diese Verletzungen, die man sich auch noch selber beibringen muß.
    Keine Antwort. Die Kündigung blieb gültig. Da zog ich mich an, kochte starken Kaffee und setzte

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