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Was Bleibt

Was Bleibt

Titel: Was Bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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    Genau. Nur mit deiner Hilfe.
    Wenn er es überhaupt will.
    Warum sollte er es nicht wollen. Du kennst seine Biografie.
    Mein Freund schrieb aus H., wo er an einem Kongreß teilnahm, er sehne sich danach, in meiner Küche mit mir Tee zu trinken und nach Herzenslust mit mir zu reden. Wenn das ein diskreter Hinweis darauf sein soll, daß in unserer Küche keine Wanzen versteckt sind... Ist ja gut. Ich schäme mich.
    Ich setzte mich an den Schreibtisch und schrieb meinem Freund, ich stecke gerade in einer schwierigen Phase. Gedanken kämen in mir auf, vor denen ich selbst erschrecke. Binnen kurzem, wenn wir in meiner Küche zusammen Tee trinken würden, könnten wir darüber reden.
    Wer weiß, dachte ich, und mein innerer Begleiter war mir böse wegen des Vorbehalts, und ich fragte: Soll ich ihn ohne Vorbehalt in meine Küche lassen, und er sagte: Ohne Vorbehalt. – Aber er würde nichts merken; ich würde ganz natürlich wirken,das kann ich nämlich. Und sogar, bis zu einem gewissen Grad, offen.
    Die famose innere Stimme schwieg, schwieg, schwieg.
    Ein Brief lag noch da, der auffallendste von allen, ein langgestrecktes weißes Viereck. Ihn hatte ich nicht nach verdächtigen Anzeichen überprüft: Gab es sie, wollte ich es nicht wissen. Ein amtliches Schreiben. Zerstreut schlitzte ich den Umschlag mit dem Brieföffner auf. Die Sekunden, die ich dafür brauchte, die ich brauchte, den Brief herauszunehmen und ihn zu entfalten, genügten, eine Kette von entlegenen Einfällen passieren zu lassen. Puschkin. Der Briefband, der gerade herausgekommen war. Seine schäumende Wut, als er entdeckte, daß die zaristische Postzensur einen seiner Briefe an seine Frau erbrochen hatte. Sein Pathos: So war ihnen nicht einmal der vertrauliche Gedankenaustausch zwischen Gatten heilig! Seine Überreaktion: daß er dann lange nicht an seine Frau schreiben konnte. Und mein unwillkürliches Gelächter, als ich das las, mein Gefühl der Überlegenheit: Diese überempfindlichen Dichter aus dem neunzehnten Jahrhundert!
    Wie lange war es her, daß ich keine vertraulichen und vertrauten Briefe mehr geschrieben hatte. Daß ich mich zwingen mußte, überhaupt zu schreiben. Ich wußte es nicht mehr. Wann hatte die Zeit der Als-ob-Briefe begonnen – als ich mich entschlossen hatte, zu schreiben, als ob niemand mitläse; als obich unbefangen, als ob ich vertraulich schriebe. Ich wußte es nicht mehr. Nur soviel wußte ich: Für spontane Briefe war ich verdorben, und die Verbindung zu entfernt wohnenden Briefpartnern trocknete aus. Konnte ich darüber noch Bedauern empfinden? Entsetzen? War es mir nicht selbstverständlich geworden? Sie schaffen es, dachte ich. Und wie sie es schaffen.
    Der Brief hatte einen imponierenden Briefkopf, und er war kurz. Der Mann, der ihn geschrieben hatte, war bei dem Briefkopf-Amt angestellt und wollte sich mir als anständiger Mensch präsentieren. Auch in schwierigen Zeiten bliebe er ein anständiger Mensch, sollte ich dem Brief entnehmen, auch in schwierigen Zeiten ließe er mich nicht fallen. Mehr nicht? dachte ich, halb erleichtert, halb enttäuscht, und zweifellos ungerecht. Immerhin schrieb er mir auf Dienstbogen! –, es wäre doch gelacht, wenn es ihm nicht gelingen sollte, mich in den Veranstaltungsplan seiner Institution »einzubauen«, – er schrieb »einbauen«, in Anführungsstrichen, als Zeichen, daß ihm die Ironie in seinem Angebot bewußt war. Dachte er, daß ich Geld brauche? Nein, das dachte er nicht. Mein Rat, meinte er feinfühlig, meine gelegentliche Mitarbeit könne seinem Laden – er schrieb: »meinem Laden hier« – nur gut tun. Es wäre doch gelacht, wenn er mich nicht demnächst dazu überreden könnte. Bei der Gelegenheit werde er mir dann auch erzählen, wiees ihm »seitdem« – das einzige Wort, das ihm unkontrolliert entschlüpft war – ergangen sei. Aber ich wisse ja: Unkraut vergeht nicht.
    Schweigen, Schweigen. Sendepause. Falls du denkst, der kann mir noch weh tun... Übrigens denkst du richtig: Er kann mir weh tun. Er kann es wieder.
    Dem Brief entströmte ein feines Aroma von Selbstaufgabe. Das war ja wohl bei ihm angelegt. Und jetzt schreibt er mir diesen Brief, um mir das Gegenteil zu beweisen. Und den hebt er sich gut auf, als Beweisstück für seinen solidarischen Mut. Aber: Einladen wird er mich nicht. Meinen Rat erfragen wird er nicht. In seinen Veranstaltungsplan einbauen wird er mich auch nicht. Die Liste, die ihm das verbietet und auf der auch mein Name steht, wird

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