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Was danach geschah

Was danach geschah

Titel: Was danach geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kimmel
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Stühlen.
    »Hältst du sie immer noch für ein Opfer?«, fragt Elymas.
    »Opfer wovon?«, frage ich zurück.
    Bevor Elymas antworten kann, verschwindet der Gerichtssaal erneut, und wir befinden uns wieder im Büro.
    Amina stellt die entrollte Leinwand auf ihre Anrichte und lehnt Bücher gegen die Kanten, damit sie nicht umfällt. Sie tritt zurück, um sich vorzustellen, wie das Bild gerahmt aussehen wird. Jetzt, da sie es genauer betrachten kann, kommen ihr die Trauernden darauf wie ihre eigene Familie vor, als sie Helmut zu seinem Grab unter dem Denkmal aus verbogenen Trägern und Betonbrocken trugen, das sein Vater aus dem Schutt der zerbombten Schule anfertigen ließ.
    »Opfer von Ungerechtigkeit«, sagt Elymas. Ich höre seine Stimme, obwohl wir uns noch immer im Büro befinden.
    Amina wischt sich die Tränen aus den Augen, als sie von den Erinnerungen an diesen schrecklichen Tag eingeholt wird. All diese Jahre war sie so sehr von dem Schrecken von Kamenz eingenommen, dass sie kaum einen Gedanken für den armen Helmut übrig gehabt hatte. Sie gibt sich der Schuld für ihre Nachlässigkeit hin, und der Schuld dafür, den Buchverlag nach ihrer Cousine, Bette, und nicht nach ihrem Bruder, ihrer Mutter oder ihrem Vater benannt zu haben.
    »Das Geschöpf weint«, flüstert Elymas. »Du spürst ihre Qual, Brek Cuttler. Doch wo ist das Mitleid ihres Schöpfers? Spürst du, ob es ihre Seele berührt? Zeigt der Thron wenigstens einen Anflug von Sorge? Einen zärtlichen Gedanken, ein tröstendes Wort? Wo ist Gerechtigkeit? Wann werden die Waagschalen ausgeglichen sein?«
    Helmuts Tod war letztendlich ein Unfall. Die Piloten der Alliierten konnten nicht wissen, dass ihre Bomben eine Schule voller Kinder auslöschen würden. Sie blickten Helmut nicht in die Augen und richteten ihn nicht hin. Deswegen war sie bereit, ihnen zu vergeben und damit die Sache zu vergessen. Doch nicht den Sowjets. Nein, sie begingen ihr Verbrechen bewusst, ihre Gesichter zeigten das Verkommene. Ihnen konnte sie nicht vergeben. Niemals.
    Dieses Selbstmitleid hält nicht lange an. Amina die Überlebende lässt dies nicht zu. Sie tupft die Mascaraflecken von ihren Wangen fort und schnäuzt sich. Sie entschließt sich, Klostergarten im Schnee in Gedenken an ihren Bruder Helmut auszustellen und jedem, der danach fragt, zu erklären, was dieses Bild für sie bedeutet.
    Und dann kommt ihr eine Idee.
    Amina plant, einen Leitartikel zum Todestag von Senator Joseph McCarthy zu schreiben. Sie bewunderte McCarthy, stimmte nicht nur philosophisch seinem fanatischen Misstrauen den Kommunisten gegenüber zu, sondern sah auch seinen ebenso fanatischen Patriotismus als Mittel, um die Aufmerksamkeit von ihrem eigenen Nazi-Erbe abzulenken. Joseph McCarthy zu nutzen ergibt in den 1950er Jahren für Amina Rabun und den Cheektowaga Register genauso viel Sinn, wie es dies in den 1930er Jahren für ihren Vater und Jos. A. Rabun & Söhne in Bezug auf Hitler tat. Doch es gibt noch eine tiefere emotionale Verbindung zu McCarthy, da er in ihrer Vorstellung als Einziger wirklich verstand, dass die Sowjetunion das Böse symbolisierte und ihre Opfer qualvoll leiden ließ. Dieses Verständnis stellt den Kern von Aminas in Kürze erscheinendem Leitartikel dar. Sie wird aus persönlicher Sicht erklären, was die Familie Rabun aus Kamenz an die Roten Horden verloren hatte – und das wird sie tapfer mit dem Verlust durch die Bomben der Alliierten vergleichen. Es wird ein bewegender, überzeugender, wunderbarer Leitartikel werden. Ein passender Tribut für Joseph McCarthy.
    Das Licht im Gerichtssaal flackert, was heißt, dass die Präsentation von Amina Rabun zu einer anderen Szene wechselt. Ich mache mir Sorgen wegen Stössels Auswahl. Er hat Aminas gesamtes Leben in Deutschland und die Opfer, die sie für die Familie Schrieberg gebracht hat, ausgelassen. Und wie vermutet, zeigt er nur die dunkle Seite ihres Lebens und ihres Charakters. Auf Freispruch und Absolution darf sie nicht hoffen.

24
    Der Schlussakt in der Präsentation von Amina Rabun beginnt. Es ist Winter, Februar 1974. Amina kehrt gerade von einem dreiwöchigen Karibikurlaub in ihre baufällige, zugige Villa in Buffalo zurück, gebaut in den 1920er Jahren von einem Schiffsbaron der Großen Seen. Sie wird von Albrecht Bosch begleitet, der bereits das zweite Mal mit ihr in den Tropen war.
    Amina und Albrecht sind enge Freunde, aber kein Liebespaar, da Amina durch und durch asexuell und Albrecht durch und durch

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