Was dein Herz nicht weiß
verschwanden, als wollten sie sie in Hypnose versetzen.
Die drei Frauen saßen in der Mitte des Cafés. Soo-Ja hatte eine Tasse Tee vor sich, Eun-Mee und Jae-Hwa tranken Espresso. Das Café mit dem englischen Namen »Room and Rumours« war ziemlich voll, entweder wegen der Kauflustigen vom benachbarten Einkaufszentrum oder weil viele Leute (wie Soo-Ja) nur kleine Wohnungen hatten und ihre Gäste lieber in Teestuben oder Cafés trafen. Für sie war das Café wie ein zweites Wohnzimmer. Die Einrichtung war anheimelnd und gemütlich, mit langblättrigen chinesischen Drachenbäumen in den Ecken, Holzpaneelen an den Wänden und zweckmäßigen Lampen an der Decke. Die Gäste saßen an Eichentischen (nicht auf dem Boden wie zu Hause), und im Hintergrund schmachteten Trot -Sänger ihre traurigen Balladen aus der Musikbox.
»Ich frage mich gerade, ob sie amerikanische Musik haben«, sagte Jae-Hwa. »Letzten Monat war ich in New York, und ich liebe die Musik, die sie dort im Radio spielen.« Jae-Hwa hatte ihren weißen Hut und die Handschuhe abgestreift. Soo-Ja konnte sehen, dass sie einen Smaragdring am Finger trug. Eun-Mee saß neben Jae-Hwa in einem eleganten figurbetonten burgunderfarbenen Kostüm mit hochgeschlagenem Kragen und kurzen Ärmeln. Soo-Ja fand ihren Aufzug etwas übertrieben, aber Eun-Mee passte durchaus in die Umgebung – die Leute kehrten oft hier ein, bevor sie ins Theater oder zu einer Party gingen. Da sie Eun-Mee inzwischen jeden Tag sah, wusste sie um deren Vorliebe, sich ohne besonderen Anlass herauszuputzen. Insgeheim hatte sie den Verdacht, Eun-Mees Lebensmotto sei »Kleider machen Leute«. Soo-Ja fragte sich, ob sie wohl aussah wie das Dienstmädchen der beiden anderen Frauen, mit ihrem einfachen, gestreiften Hauskleid und dem langen schwarzen Haar, das sie hinter die Ohren geklemmt hatte. Trotzdem merkte sie, dass es Eun-Mee störte, wie die hereinkommenden Männer mit Soo-Ja zu flirten begannen.
»Ich liebe Amerika!«, rief Eun-Mee. »Aber nicht die Amerikaner. Ich liebe es, in Manhattan und am Rodeo Drive einkaufen zu gehen. Meine Tasche ist von dort« – sie deutete auf ihre Fiorucci-Tasche –, »aber die Leute … besonders in Kalifornien. Sie haben rosa Gesichter, die Männer sehen aus wie Frauen, und umgekehrt. Lange Haare, lange Augenwimpern und ein träges Grinsen im Gesicht! Ich hasse sie!«
»Bring uns nicht in Verlegenheit! Was, wenn ein Soldat direkt hinter dir säße?«, rief Jae-Hwa.
»Ich würde ihm sagen, er soll endlich nach Hause fahren. Und aufhören, auf meinen Nacken zu starren!«, erwiderte Eun-Mee.
Jae-Hwa lachte.
»Ich bin mir sicher, dass sie gerne nach Hause fahren würden«, warf Soo-Ja ein, »aber sie sind hier, um uns zu beschützen. Wir sollten ihnen dankbar sein.«
»Sie sind doch nicht deswegen hier«, entgegnete Eun-Mee und verdrehte die Augen. »Warum, glaubst du, haben sie sich ausgerechnet in Korea stationieren lassen? Weil sie ein Auge auf uns Frauen aus dem Fernen Osten geworfen haben! Jawohl. Darum kommen sie her, und darum bleiben sie hier. Ich würde nie im Leben an einer Armee-Kaserne vorbeigehen. Sie würden mich hineinzerren und begrapschen, mir die Kleider ausziehen und mich vergewaltigen, ganz viele, immer abwechselnd. Diese Männer, die haben seit Ewigkeiten keine Frau mehr gesehen – ich meine eine wirkliche Frau, nicht eine Prostituierte. Sie haben sich die ganze Leidenschaft, den ganzen Hunger aufgespart, sodass sie wie Wölfe an meinen Brüsten zerren würden, diese blonden Jungen, die noch die Muttermilch in den Mundwinkeln hängen haben.«
Jae-Hwa lächelte Eun-Mee zu. »Ich bin versucht, dich jetzt zu entführen und an der Grenze auszusetzen, nur um zu sehen, was sie mit dir machen.«
Eun-Mee schlug Jae-Hwa leicht aufs Handgelenk, und die nahm spielerisch die Hand von Eun-Mee. »Mach darüber bloß keine Scherze. Ich erkläre dir nur gerade, was ich über die Amerikaner denke – sie sind ganz anders als die Europäer. Warst du schon mal in der Schweiz?«, wollte Eun-Mee von Jae-Hwa wissen. Diese nickte und Eun-Mee fuhr fort. »Man fühlt sich dort wie zu Hause – all diese Berge! Wenn der Schnee die Verkehrszeichen und die Straßen bedeckt, weiß ich nicht mehr, wo ich bin. Und ich liebe die erste Nacht nach einem Schneegestöber, wenn der Himmel weiß und klar ist und man im Freien fast lesen kann. Warst du eigentlich schon mal in der Schweiz?« Diese Frage war an Soo-Ja gerichtet – als hätte Eun-Mee sich gerade wieder an ihre
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