Was dein Herz nicht weiß
knöpfte seine Hose auf, aber als er ihren Rock hochschob, stoppte Soo-Ja ihn instinktiv. Sie wusste, dass sie nicht mit ihm schlafen konnte, dass sie es nicht durfte und nicht sollte. Aber sie spürte auch eine plötzliche Anwandlung von Dankbarkeit; sie wollte berühren und berührt werden. Es fühlte sich gut an, genauso wie der Gedanke an ihre Zukunft. Außerdem: Wenn sie jetzt miteinander schliefen, war das so gut wie eine unterschriebene Heiratsurkunde. Kein Mann, der alle Sinne beieinander hatte, würde sich trauen, eine Frau zu entjungfern und sie dann nicht zu heiraten. Sonst würde er ihr Leben zerstören. Es konnte ihr also zum Vorteil gereichen.
Als Min ihren Rock zum zweiten Mal hochschob, hielt Soo-Ja ihn nicht zurück. Min nahm ihre Arme und führte sie nach oben, als wollte er ihren Körper strecken, und verschränkte seine Finger mit ihren. Sie küssten sich wieder, und als die Küsse intensiver wurden, schloss Soo-Ja die Augen und glaubte zu schweben. Ihre Körper bewegten sich im selben Rhythmus, und sie fühlte sich unwirklich, als würden sie beide von der Erde abheben und durch die Luft fliegen, dem Regen entgegen, der gegen ihr Fleisch prasselte.
Bamm, bamm, bamm , tönten die Holztrommeln.
Min und seine Freunde trugen laut singend und musizierend die Hochzeitstruhe die Straße entlang. Sie waren meilenweit zu hören. Alle trugen Männer-Hanboks – graue Pluderhosen und darüber blaue, über der Brust mit Schleifen zusammengehaltene Jacken mit weiten Ärmeln. Stolz marschierten sie im Gleichschritt voran. Einer hielt eine Jwa-go -Trommel mit Flaggensymbol und schlug sie jedes Mal, wenn ein Gesang beendet war.
»Kauft den Hahm ! Kauft den Hahm !«
Min folgte ihnen, auch er in einen Hanbok gekleidet. Soo-Ja hatte ihn noch nie in dem traditionellen Gewand gesehen. Min bevorzugte westliche Anzüge, immer schick geschnitten und ordentlich gebügelt. Aber der Hanbok mit seinem frischen Blau und Gelb stand ihm auch gut, und als er auf ihr Haus zumarschierte, spürte Soo-Ja eine plötzliche Freude in sich aufsteigen – als wäre alles eine Überraschung und nicht etwas, was sie schon wusste und lang geplant hatte.
»Was ist denn hier los?«, fragte eine Nachbarin von der anderen Straßenseite. Sie wirkte verschlafen und verwirrt. »Ist jemand gestorben?«
»Nein, jemand heiratet bald«, erwiderte Soo-Ja mit einem Lächeln.
»Sie heiraten?«, fragte die Nachbarin. »Welchen denn?«
»Alle«, rief Soo-Ja.
Sie sah eine andere Nachbarin aus dem Haus kommen, eine alte Frau mit runzligem, müdem Gesicht, die einen hellblauen Hanbok und eine rote Chogori- Jacke trug. »Der Bräutigam singt mit lauter und fester Stimme. Das ist ein gutes Zeichen. Das heißt, er hat Ausdauer und Kraft für die erste Nacht!«, sagte sie und begann dann zu klatschen und mit dem Kopf zu nicken.
»Gut«, entgegnete Soo-Ja. »Ich werde ihm nämlich viel zu tun geben in dieser Nacht!«
Soo-Ja rannte zurück ins Haus und ging in die Küche, wobei sie auf die Schwelle achtete, denn die Küche lag dreißig Zentimeter tiefer als der Rest des Hauses. Die Dienstboten waren mit den Reiskuchen beschäftigt, die sie den Männern übergeben wollten, wenn diese das Haus erreicht hatten. Die Leckerei, die mit Adzukibohnen überzogen war, symbolisierte Glück und Harmonie. Soo-Ja machte sich nicht viel aus Tteok – sie fand sie nicht süß genug und außerdem zu trocken und klebrig. Aber was wäre eine Feier ohne die Reisküchlein gewesen?
Als die Dienstboten die Tteok in den Flur brachten – eigentlich war es gar kein Flur, sondern eher ein großer, leerer Raum, der die anderen miteinander verband – , stellten sich Soo-Ja und ihre Mutter nebeneinander auf den gelben Boden, zusammen mit zwei Tanten. Und in diesem Augenblick spürte Soo-Ja die Abwesenheit ihres Vaters – und die ihrer Freundin Jae-Hwa. Jae-Hwa, die die Nachricht von der Verlobung erstaunt aufgenommen hatte, hatte eigentlich kommen wollen, war dann aber doch nicht erschienen. Soo-Ja erinnerte sich noch gut an den tadelnden Ton in der Stimme ihrer Freundin, als diese ihr vorgeworfen hatte, nicht wirklich in Min verliebt zu sein. Soo-Ja hatte Jae-Hwa nichts über die Nacht der Leidenschaft erzählt – es hätte sie bloß schockiert.
Als die Männer sich dem Haus näherten, ließen ihre lauten, hungrigen Stimmen die dünnen Wände erzittern und den Boden schwanken. Doch als die Dienstboten die Schiebetüren öffneten und die Frauen die Männer sehen konnten,
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