Was dein Herz nicht weiß
sollte, war das ganze Haus in Aufruhr, denn sie hatten nur selten Gäste, und wenn, dann niemals bedeutsame. Alle fühlten sich wichtig wie Filmstatisten, die man erst in der Garderobe vergessen und dann endlich zu ihrem Auftritt gerufen hatte. Die Jungen wurden in ihre besten Anzüge gesteckt, und der Schwiegervater und die Schwiegermutter zogen ihre Hanboks an. Soo-Ja selbst verbrachte den Vormittag damit, süßen Reiskuchen zu backen. Sie dämpfte das Korn, bis es klebrig wurde, und zerstieß es mit dem Mörser, bis es hart war. Dann bedeckte sie den weißen Kuchen mit zerstoßenen Adzukibohnen und schnitt ihn in quadratische Stücke.
Soo-Ja beklagte sich nicht darüber, dass sie die Süßigkeiten zubereiten musste. In den Jahren seit ihrer Hochzeit hatte sie sich das angeeignet, was sie ihr äußeres Hahoe-Gesichtnannte: ernsthaft, aber nicht finster. Indem sie diese Maske überstreifte, hinderte sie andere daran, in sie hineinzuschauen und ihre Unzufriedenheit zu sehen. Unter der Maske konnte sie ihren Ärger und Frust verstecken und die Rolle der gehorsamen Schwiegertochter spielen. Für Soo-Ja war das eine Aufgabe wie jede andere auch. Wenn sie schon keine Diplomatin sein konnte, dann würde sie eben all ihre Energie und Disziplin zusammennehmen und auf den Haushalt richten.
Während ihre Schwägerin ständig irgendwelche Krankheiten simulierte, um die lästigen Pflichten zu umgehen, stand Soo-Ja ohne zu murren jeden Morgen früh auf und erledigte den Haushalt.
Als die Zeit für den Auftritt des Bewerbers gekommen war, lief sie zurück in ihr Zimmer, um sich umzuziehen. Sie wollte sich und ihre Tochter vorzeigbar machen. Sie wollte gerade die Tür öffnen, als sie die Schwiegermutter eilig auf sich zukommen sah.
»Der Reiskuchen ist auf dem Teller. Ich ziehe mich nur schnell um«, rief Soo-Ja ihr zu.
Aber die Schwiegermutter ging weiter, bis sie vor ihr stand. Sie sah besorgt aus. »Geh mit deiner Tochter spazieren und bleib ein paar Stunden weg.«
»Weg? Warum?« Soo-Ja stand in dem schmalen Gang zwischen dem Haupthaus und ihrem eigenen Bereich. Ihre Tochter Hana lehnte sich verspielt an ihre Beine.
»Nur, bis er wieder gegangen ist.«
Soo-Ja sah sie betroffen an. »Warum? Warum kann ich denn nicht bleiben?«
»Weil du so aussiehst.«
»Wie sehe ich denn aus?«, fragte Soo-Ja, mehr verwirrt als beleidigt.
»Wie eine arme Verwandte.«
Soo-Ja blickte auf ihre alte rosa Baumwollbluse herab, die nach vielen Wäschen ausgeblichen war. Ihr indigofarbener Rock, den man vor ein paar Jahren noch schick genannt hätte, war inzwischen aus der Mode gekommen. Es war auch schon Monate her, dass sie sich das Haar ordentlich hatte frisieren lassen; jetzt trug sie es die ganze Zeit über nach hinten gebunden.
»Draußen ist es kalt«, sagte Soo-Ja knapp und zog ihre Tochter zu sich heran. »Ich möchte nicht, dass Hana krank wird.«
»Immer suchst du nach einer Gelegenheit, um aus dem Haus zu kommen. Jetzt fordere ich dich aus einem guten Grund dazu auf, und du weigerst dich. Du bist wie der dickköpfige Frosch in der Sage, der immer das Gegenteil von dem tut, was man ihm befiehlt.«
»Ich werde in meinem Zimmer warten, bis der Bewerber gegangen ist.«
»Nein! Das Kind wird Lärm machen und den Gast stören!«
»Das Kind? Du meinst, deine Enkeltochter«, verbesserte Soo-Ja, und die Empörung wallte durch ihren Körper.
»Ja, Enkel tochter , nicht Enkelsohn. Du hast ein großes Maul für jemanden, der seine einzige Pflicht im Leben nicht erfüllt hat. Geh jetzt. Erinnerst du dich nicht mehr, was passiert ist, als du mir das letzte Mal nicht gehorcht hast?«
»Du hast mir Hana einen Tag lang weggenommen«, sagte Soo-Ja. Die Erinnerung daran brannte noch immer in ihrem Gedächtnis.
»Genau. Schauen wir doch mal, wie es dir gefällt, wenn ich eine Woche daraus mache. Aber sie ist nicht das Problem, du bist es. Du kannst sie hierlassen, wenn du willst«, schloss die Schwiegermutter, drehte sich um und eilte zum Haupthaus zurück.
Soo-Ja hätte Hana genauso wenig zurückgelassen wie sie einen Arm oder eine Hand zurückgelassen hätte. Hana ging überall mit ihr hin. Wie schade, dass Mütter keine Beutel hatten wie die Kängurus! Stattdessen sah man sie als Quasimodo-Wesen auf der Straße: Mütter mit Babys (und manchmal Kleinkindern bis zu drei Jahren) auf dem Rücken, vorgebeugt wie zweiköpfige Tiere, ein Gesicht der Vergangenheit, das andere der Zukunft zugewandt.
Hana, die der Unterhaltung gebannt
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