Was dein Herz nicht weiß
irgendeinen Wert zuschrieb, glaubte Soo-Ja, dass Hana ein Segen war und tausendmal besser als jeder Junge.
Soo-Ja war gerade damit beschäftigt zu bügeln, als der Schwiegervater unerwartet in ihr Zimmer kam. Seine Anwesenheit erschreckte sie ein wenig, weil er sie sonst nie besuchte. Er ließ die Papiertüre hinter sich zugleiten und nahm ihr gegenüber Platz, ohne vorher zu fragen, ob er eintreten könne. Damit zeigte er, dass auch dieses Zimmer ihm gehörte. Wie gewöhnlich setzte er weder ein Lächeln auf noch änderte er seinen starren Blick. Soo-Ja hatte schon früh begriffen, dass er seine Autorität der Tatsache verdankte, dass es ihm egal war, ob andere ihn mochten. Er hatte von der Notwendigkeit, geliebt zu werden, abgelassen – in derselben Art, wie einige Mönche die körperliche Liebe oder reichhaltiges Essen aufgaben – , und das machte ihn unverwundbar. Während der Rest der Welt mühsam um Zuneigung kämpfte, blieb er gleichgültig, ohne je etwas von anderen zu wünschen oder zu brauchen. Für ihn war Liebe eine Art Schwäche; erst wenn man sich von ihr trennte, war man fähig, so genau und präzise zu arbeiten wie man wünschte.
»Wie komme ich zu der Ehre deines Besuches, Abeonim ?«, fragte Soo-Ja und stellte das Bügeleisen so ab, dass es Hana, die neben ihr die Kleider zusammenfaltete, nicht im Weg stand.
Der Schwiegervater schaute auf seine Enkelin, lächelte aber nicht, so als fragte er sich, was sie dort eigentlich machte. »Ich sorge mich um dich. Ich beobachte, was in diesem Haus geschieht, und sehe, dass du nicht glücklich bist.«
»Nein, nein, ich bin vollkommen zufrieden. So ist das Eheleben nun mal, es kann kein Zuckerschlecken sein.«
»Aber du und ich, wir wissen beide, dass deine Tage hier viel angenehmer sein könnten.«
Soo-Ja wandte das Gesicht ab. »Ich will nicht mehr schwanger werden. Lass einen deiner anderen Jungen heiraten und einen Sohn bekommen.«
»Deswegen bin ich nicht gekommen. Die zukünftige Generation bereitet mir wenig Kopfzerbrechen. Mir geht es mehr um Rechnungen und Heizkosten und darum, dass niemand auf meine Kosten lebt.«
»Ich bin nicht sicher, ob ich dich verstehe.«
»Lass es mich so erklären: Wenn du Gast in einem Gasthaus wärst, würdest du dann erwarten, dort leben zu können, ohne zu bezahlen?«, fragte der Schwiegervater.
Soo-Ja starrte auf seine dunkle lederne Haut und bemerkte, dass die Falten um Augen und Kinn herum ihm das Aussehen einer Bulldogge verliehen. »Denkst du etwa, ich lebe auf deine Kosten?«, fragte Soo-Ja und runzelte die Stirn.
»Ich sehe, dass du trotz all der Schulen, die du besucht hast, nicht viel weißt. Tatsächlich weißt du vielleicht sogar weniger als ein Straßenbettler. Ein Bettler weiß wenigstens, dass er betteln muss, sonst hat er nichts zu essen. Du hingegen scheinst anzunehmen, dass du überhaupt nichts zu tun brauchst. Du denkst, du wirst immer ein Dach über dem Kopf haben und dein Reis wird wie durch Zauberhand erscheinen.«
»So denke ich überhaupt nicht«, erwiderte sie. »Mein Vater hat mir eine Mitgift gegeben, damit ich meinen Schwiegereltern nicht zur Last falle.«
Doch der Schwiegervater höhnte: »Deine Mitgift ist weg. Aufgebraucht.«
Soo-Ja schnappte nach Luft. »Weg? Wie kann eine so große Summe einfach weg sein?«
»Streite nicht mit mir. Wenn ich sage, dass sie weg ist, ist sie weg.«
Am liebsten hätte sie ihm ins Gesicht geschlagen. Aber ein Wort genügte, und er konnte sie einfach so vor die Tür setzen. Und falls er das tat, würde es sich in der Stadt herumsprechen und die Schande würde auf ihren Vater zurückfallen. Nein, sie musste durchhalten. Sie musste hier erfolgreich sein, als Ehefrau und Schwiegertochter. Ihre Eltern durften nur hören, dass alles bestens war. Überhaupt mussten sie glauben, dass sie glücklich war. Die Verpflichtung ihnen gegenüber war Soo-Jas härtester Lehrmeister, ließ sie Schmerzen ertragen und Dinge durchstehen, von denen sie nicht geglaubt hatte, dass sie es könnte. Der Hass auf ihre Schwiegereltern trieb sie an, aber dieses Gefühl war unbedeutend gegenüber der Pflicht, ihre eigenen Eltern stolz zu machen.
»Was willst du von mir?«, fragte Soo-Ja schließlich, in der Hoffnung, sie könnte den wachsenden Frust unterdrücken.
Der Schwiegervater verzog zufrieden das Gesicht, und ihr wurde klar, dass er diese Frage von Anfang an hatte hören wollen. »Du musst von deinem Vater mehr Geld verlangen. Und dieses Geld musst du mir
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