Was dein Herz nicht weiß
nicht die Schuld für meine Fehler geben«, erwiderte Soo-Ja.
»Aber stimmt es denn nicht? Hättest du ihn geheiratet, wenn ich dich hätte nach Seoul gehen lassen?« Soo-Ja sagte nichts, und der Vater nahm ihr Schweigen als Antwort.
»Hast du ihm deshalb das Geld gegeben?«
»Du warst eine rebellische Tochter. Und wogegen hast du rebelliert? Gegen mich. Warum soll ich mein Vermögen genießen, wenn meine Tochter im Unglück lebt?«
»Bitte mach dir meinetwegen keine schlaflosen Nächte. So übel ist es gar nicht.«
»Du lügst«, sagte er.
Der Vater nahm seinen Becher mit beiden Händen und trank. Als er ihn wieder absetzte, sah Soo-Ja, dass kein Tee darin gewesen war, sondern Soju. Die Worte ihres Vaters hatten sie so schockiert, dass sie gar nicht bemerkt hatte, wie schlecht er aussah. Seit wann trank er, und wie viel?
»Das ist das schlimmste Gefühl überhaupt, wenn man weiß, das eigene Kind ist unglücklich.«
»So schlimm ist es nicht«, wiederholte Soo-Ja. »Wenn ich mein Leben hier und mein Leben dort vergleiche, dann ist keins davon schlechter, sie sind bloß unterschiedlich.«
»Und wie geht es Hana?«
Sie erzählte ihrem Vater, was geschehen war. Ihr Vater war fassungslos und schaute immer wieder aufgeregt ins andere Zimmer, wo Hana ihrer Großmutter dabei half, Sojasprossen vorzubereiten. Dabei sah er seine Enkelin so sehnsuchtsvoll an, als würde Hana noch einmal verloren gehen und wiedergefunden werden.
»Du hättest mir Bescheid sagen sollen!«, rief er. »Ich hätte den ersten Zug nach Pusan genommen. Himmel, was du durchgemacht haben musst!«
»Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst.«
»Ein Vater macht sich immer Sorgen. Nimm ihm das weg, und er hat keinen Sinn mehr im Leben. Wie kann ich dir vertrauen, wenn du in der Not nicht zu mir kommst?«
»Bitte, Vater, nach allem, was ich durchgemacht habe, brauche ich keine weiteren Ermahnungen.«
»Ich will doch nur, dass du glücklich bist.«
Ach, und welch schreckliche Bürde das für mich ist , dachte sie und betrachtete seine müden Augen.
»Ich kann das Geld nicht annehmen. So viel kann ich nicht annehmen.«
Der Vater schüttelte den Kopf und sah sie mit furchtbar traurigen Augen an, so, als wäre er enttäuscht von ihr. Und plötzlich sprudelte es aus ihm heraus. »Saug mich aus. Saug mich aus bis auf die Knochen. Wenn du mir erlaubst, mich als dein Vater um dich zu sorgen, mich um dich zu kümmern und für dich zu leiden, dann tust du nicht dir selbst einen Gefallen, sondern mir. Solange du mich brauchst, lebe ich.« Seine Worte fühlten sich an wie ein Lasso, das in ihre Richtung sauste und sich um sie wand. »Was du empfunden hast, als du durch die Straßen gezogen bist und nach Hana gesucht hast, genau das empfinde ich für dich. Das musst du doch begreifen!«
»Das tue ich, Vater.«
»Diese Liebe fließt durch deine Adern. Sie geht von mir auf dich über und von dir auf Hana. Mach dir nie mehr Sorgen darüber, mir wehzutun. Davor habe ich keine Angst, nur vor dem Gegenteil. Denn dieser Schmerz ist auch Liebe, wie willst du das voneinander trennen?«
»Du hast recht, Vater«, stammelte Soo-Ja und wischte sich die Tränen von den Wangen.
Soo-Ja traf den Schwiegervater in seinem Zimmer an, wo er mit geschlossenen Augen auf einem Stuhl saß. Du-Ho hatte sich über ihn gebeugt und rasierte ihn mit extremer Vorsicht; es sah aus, als nähme er sich jedes Haar einzeln vor. Hin und wieder tauchte er den Rasierer – der eher aussah wie ein großes Messer – in eine Schüssel mit heißem Wasser, die auf einem Tablett neben ihm stand. Er zitterte beinahe vor Aufregung und betrachtete das Kinn seines Vaters, als wäre es ein riesiger Berg, den er erklimmen musste.
Soo-Ja schlüpfte unbemerkt ins Zimmer und ließ die Schiebetür offen, um kein Geräusch zu machen. Als Du-Ho sie entdeckte, wollte er sie begrüßen, doch sie schüttelte den Kopf und legte einen Finger auf die Lippen. Du-Ho war verwirrt, sagte aber nichts und reichte ihr den Rasierer, als sie ihn lautlos darum bat. Er begriff, dass sie die Plätze tauschen sollten, ohne dass der Schwiegervater es merkte.
Du-Ho, der mit seinen vierzehn Jahren für Streiche empfänglich war, verließ auf Soo-Jas Nicken hin lächelnd das Zimmer. Einen Moment lang zögerte er jedoch, als ahnte er, dass sie etwas Schlimmes vorhatte. Dann ging er, doch sein Blick blieb im Raum hängen.
Da öffnete der Schwiegervater die Augen und sah Soo-Ja, wo er eigentlich Du-Ho erwartet hatte. Er
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