Was dein Herz nicht weiß
über seine Paranoia lachen, hielt sich dann aber zurück. Der Schwiegervater brauchte keine Angst davor zu haben, dass Min ihm entglitt. Er liebte seine Eltern abgöttisch. Trotzdem machten sie sich Sorgen. Soo-Ja dachte an Seon-ae, die weggelaufen war – die Schwester, über die Min und die anderen niemals sprachen. Soo-Ja hatte sie nie kennengelernt. Sie wusste nur, dass sie eines Tages weggegangen und nie mehr zurückgekommen war. Fürchtete der Schwiegervater vielleicht, dass alle seine Kinder ihn verlassen würden, eins nach dem anderen?
»Wir werden über dieses Thema nicht mehr sprechen«, verfügte er und ließ auf dem Weg nach draußen das blutige Handtuch zu Boden gleiten. »Jetzt wenden wir uns wieder der Gegenwart zu und lassen die Vergangenheit ruhen.«
Soo-Ja blieb allein zurück und betrachtete die Bartstoppeln, die in der Wasserschüssel schwammen.
Soo-Ja saß im Restaurant und wartete auf Min. Hin und wieder blickte sie auf den Dampf, der aus den riesigen Jjigae -Töpfen auf dem Herd entwich. Auf eine schon etwas heruntergekommene Tafel vor ihr hatte man die Tageskarte gekritzelt, und darunter plärrten aus einem winzigen Radio die aktuellen Nachrichten.
Soo-Ja hatte Min gesagt, dass sie ihn hier treffen wollte. Er war seit einigen Tagen aus seinem Versteck nach Daegu zurückgekehrt, aber jetzt war sie es, die sich versteckte. Zusammen mit Hana wohnte sie wieder bei ihren Eltern. Sie wusste nicht, was sie als Nächstes tun sollte. Sie konnte nicht ewig bei ihren Eltern bleiben, aber genauso wenig konnte sie sich vorstellen, wieder bei ihren Schwiegereltern zu leben. Es war einfach zu viel passiert in letzter Zeit. Der Verrat ihres Schwiegervaters und die Begegnung mit Yul. Er hatte sie an ihr altes Selbst erinnert – an die alte Soo-Ja, zu der sie die Verbindung wieder herstellen wollte. Und das konnte sie nicht, solange sie mit Min zusammen war.
Wenn Jae-Hwa ihren Mann verlassen kann, warum schaffe ich das dann nicht?
Min betrat das Lokal und entdeckte sie schnell, denn sie war der einzige Gast; sie saß an einem niedrigen Holztisch, neben dem einige Töpfe mit Kakteen standen. Die anderen drei Tische waren unbesetzt. Stumm setzte er sich hin.
»Hast du von den Plänen deines Vaters gewusst?«, wollte Soo-Ja von ihm wissen.
»Ich habe erst vor drei Tagen davon erfahren«, sagte er zerknirscht. »Und als ich von dem Geld hörte, habe ich mich gefreut. Ich dachte nämlich, du hättest es uns beschafft.«
Soo-Ja sah ihn überrascht an. »Nein, das war dein Vater.«
»Nach so langer Zeit an diesem schrecklichen Ort begann ich davon zu träumen, du würdest kommen und mich retten«, erzählte Min. »Aber am Ende warst du es gar nicht, sondern mein Vater.«
»Dann bist du nicht wütend auf ihn, sondern auf mich?«, fragte sie sarkastisch. »Du findest nicht, dass er etwas falsch gemacht hat. Nein, er ist sogar dein Held.«
»Jedenfalls hat er mich rausgepaukt, oder etwa nicht?«, fragte Min leise.
Min würde immer der Sohn seines Vaters bleiben und sich auf seine Seite stellen, dachte Soo-Ja resigniert. Diesen Kampf hatte sie verloren. Er würde nie wirklich ihr Ehemann sein, und es wäre dumm gewesen zu glauben, dass sie jemals wirklich seine Ehefrau sein konnte.
»Wir sollten nicht mehr zusammenleben.« Soo-Ja ließ ihre Worte einen Moment lang wirken. »Du weißt, worauf ich hinauswill, oder?«
Min nahm seine Serviette in die Hand, faltete sie zusammen und wieder auseinander. Dann strich er die Knicke darin glatt. Er vermied es, sie anzusehen, aber sie spürte seine Traurigkeit, seine teerschwarze Traurigkeit. »Nach allem, was ich durchgemacht habe, willst du mir das antun?«, fragte er.
»Was meinst du denn, was ich durchgemacht habe?«
»Hast du einen anderen?«
»Nein«, erklärte sie.
»Du hast einen anderen«, sagte Min und sah sie zum ersten Mal an. Dann riss er die Serviette in kleine Stücke und warf sie fort wie Konfetti. »Vielleicht nicht in deinen Armen, aber in deinem Herzen.«
»Es gibt keinen anderen«, sagte Soo-Ja bestimmt. »Das ist nicht der Grund, warum ich die Trennung möchte. Wenn wir nicht bei deinen Eltern wohnen müssten, hätten wir vielleicht eine Chance, aber so, wie es ist, geht es nicht weiter. Min, unsere gemeinsame Zeit ist vorbei.«
Min starrte sie an. »Warum willst du mich verlassen?«
Soo-Ja wusste, dass sie ihre Worte sorgfältig wählen musste. Ehefrauen wurde nur selten erlaubt, sich ohne das Einverständnis ihres Mannes scheiden zu
Weitere Kostenlose Bücher