Was dein Herz nicht weiß
zuckte zusammen, stand aber nicht auf. Als er in den Spiegel sah, den Du-Ho an die Wand gelehnt hatte, konnte Soo-Ja in seinem Gesichtsausdruck alles lesen, was sie wissen wollte. Jetzt kannte sie das Geheimnis, das keins mehr war.
Soo-Ja hob den Rasierer.
»Leg den sofort hin«, befahl er.
»Hast du gedacht, ich würde es nicht herausfinden?«, fragte Soo-Ja. Sie tat nicht wie geheißen, sondern hielt ihm den Rasierer an den Hals.
»Das ist eine Sache zwischen deinem Vater und mir«, sagte der Schwiegervater ohne jeden Versuch, sich dumm zu stellen. Die Adern an seinem Hals schwollen an.
»Mich geht das also nichts an?«
»Nein.«
»Das ist seltsam. Ich dachte nämlich, ich wäre die Tochter meines Vaters«, sagte Soo-Ja und zog den Rasierer fest über seine Haut. Eine schnelle Bewegung, und sie würde ihm in die Halsschlagader schneiden.
»Wir Geschäftsleute beuten Ressourcen aus. Ressourcen wie deinen Vater. Ich wäre dumm, wenn ich es nicht getan hätte«, sagte der Schwiegervater und hielt ganz still. Seine Augen waren auf Soo-Ja im Spiegel geheftet.
»Du hast die Liebe meines Vaters zu mir ausgenutzt.«
»In Wirklichkeit bist du nicht auf mich wütend, sondern auf deinen Vater, weil er so ein Narr ist«, behauptete der Schwiegervater.
»Mein Vater ist kein Narr«, gab Soo-Ja ärgerlich zurück. Ihre Hand zitterte, und sie schnitt ihm versehentlich in die lederne Haut. Über die Klinge lief Blut. Als Soo-Ja sah, was sie getan hatte, trat sie einen Schritt zurück. »Du hast kein Recht, so über ihn zu reden! Er hat dich gerettet! Du solltest ihm zu Füßen liegen und ihm danken.«
»Er ist ein Narr. Jawohl, ein Narr«, schnarrte der Schwiegervater. »Einfach so sein Geld wegzugeben. Ich an seiner Stelle hätte mir nichts gegeben. Aber er hat’s getan. Ich bin anders als er, ich bin kein Narr. Darum hab ich’s genommen. Es ist doch nicht meine Schuld, wenn er ein schlechter Geschäftsmann ist.«
Soo-Ja schaute dem Schwiegervater direkt in die Augen und hielt den Rasierer in die Höhe. Auf ihrem Gesicht lag blanke Verzweiflung. »Er hat dir das Geld gegeben, um Min zu retten. Deinen eigenen Sohn. Hast du denn überhaupt keine Dankbarkeit in dir?«
»Dankbarkeit macht niemanden satt. Aber Geschäftssinn, und davon habe ich genug. Ich habe eine Chance erkannt und sie genutzt. Ich musste meinen Kopf anstrengen, um die Schwachstelle deines Vaters zu finden. Meinst du denn, ich wusste nicht, was ich tat, als ich dafür gesorgt habe, dass Min dich heiratet?« Entsetzt blickte Soo-Ja ihn an. Sie hatte immer geglaubt, Mins Eltern wären gegen die Hochzeit gewesen; jedenfalls wenn sie danach ging, wie sie von ihnen behandelt wurde. Der Schwiegervater schüttelte den Kopf. »Denkst du, Min ist schlau genug, um selbst zu wissen, wen er heiraten sollte? Man musste ihm schon helfen und ihn in die richtige Richtung stoßen. Ich wusste, eines Tages würde das Geld deines Vaters uns von Nutzen sein. Und ich wusste auch, dass die Liebe deines Vaters zu dir noch viel nützlicher sein würde.«
Zitternd hielt Soo-Ja den Rasierer in der Hand. Sie bräuchte nur eine oder zwei Sekunden, um ihm die Klinge ins rechte Handgelenk zu rammen. An seinen Hals kam sie nicht mehr heran, aber seine Hände lagen direkt vor ihr.
»Bevor du anfängst, mich richtig zu hassen, hör dir dies an«, sagte der Schwiegervater langsam und berechnend. »Glaubst du nicht, dass ich meine gesamte Kraft dafür einsetzen werde, dich zu versorgen und dir ein Dach über dem Kopf zu bieten? Meinst du, es ist leicht, den Lebensunterhalt für eine Familie zu verdienen? Das halbe Land liegt noch in Trümmern, überall sieht man Bauern, die nur Gras zum Abendessen haben, und Bananenschalen zum Nachtisch. Überall obdachlose Waisenkinder und Krüppel und Kranke. Meinst du, dieses Haus wurde mir geschenkt? Denkst du, es ist leicht, einen Sohn zu haben, der nicht zum Arbeiten taugt? Wenn ein Narr Geld verschenkt, wäre ich wiederum ein Narr, es nicht anzunehmen.«
»Dieser Narr ist mein Vater«, murmelte Soo-Ja ungläubig. Sie legte den Rasierer auf den Tisch und trat zurück, als wäre er nur eine Wahnvorstellung in ihrem Kopf. »Seit meinem ersten Tag in diesem Haus habt ihr mich schlecht behandelt. Warum habt ihr euch so verhalten?«
Der Schwiegervater grunzte. »Vom ersten Tag an hast du versucht, meinen Sohn auf deine Seite zu ziehen. Ich weiß sehr wohl, dass du ihm Lügen ins Ohr flüsterst, wenn ihr nebeneinander im Bett liegt.«
Soo-Ja wollte
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