Was Die Liebe Naehrt
diesen Menschen von dieser Seite aus betrachte, erscheint er mir in einem anderen Licht. Und ich komme wieder mit der Liebe in
Berührung, die damals in mir aufgebrochen ist.
Das gilt für den Mann wie für die Frau: Die Frau erinnert sich an das, was sie am Mann so angezogen hat. Vieles hat sich durch die tägliche Arbeit und
durch das Aneinandergewöhnen abgeschliffen. Und das, was den Mann an der Frau einmal fasziniert hat, ist noch irgendwie in ihr. Die Erinnerung lässt beide
an das glauben, was im jeweils anderen ist. Und ihre Erinnerung kann auch ihn wieder in Berührung bringen mit dem, was an Faszinierendem im anderen
ist. So kann die Erinnerung die Beziehung wieder neu beleben und nähren.
Eine unversiegbare Quelle
Die begrenzte Liebe, die ich zur Partnerin habe und die die Partnerin zu mir hat, wird gespeist von der grenzenlosen Quelle der
göttlichen Liebe, die in mir strömt. Auch wenn die menschliche Quelle manchmal zu versiegen droht, so ist doch die göttliche Quelle immer in uns. Sie
sprudelt auf dem Grund unserer Seele. Indem wir uns daran erinnernoder indem wir in der Meditation zum Grund unserer Seele vordringen,
kann diese Quelle langsam wieder in uns aufsteigen und unsere menschliche Liebe durchdringen und nähren. Die Erinnerung an die kirchliche Hochzeit kann
dabei helfen, dass die göttliche Quelle in uns wieder von Neuem zu sprudeln beginnt. Damals haben wir die Ehe nicht nur unter den Segen Gottes
gestellt. Wir haben auch erfahren, dass unsere menschliche Liebe ihren tiefsten Grund in der göttlichen Liebe hat, die nie versiegt. Die Feier der
kirchlichen Hochzeit drückt ja aus, dass die Ehe ein Sakrament ist. Sakrament meint, dass das sichtbare Zeichen auf etwas Unsichtbares, Göttliches
hinweist. Die sichtbare menschliche Liebe, die sich in unserer Zärtlichkeit und im sexuellen Einswerden ausdrückt, verweist uns auf die unsichtbare
göttliche Liebe, die in uns ist. Das Sakrament heiligt nicht nur unsere Liebe. Es entlastet uns auch von dem Anspruch, dass die menschliche Liebe all
unsere Sehnsucht erfüllen muss. Die menschliche Liebe, die immer auch begrenzt ist, verweist uns auf die grenzenlose Liebe Gottes in uns. So können wir
das, was der andere uns an Liebe schenkt, genießen und uns von ihr in den Grund unserer Seele führen lassen, in dem die unendliche göttliche Quelle der
Liebe strömt. Von dieser göttlichen Liebe kann sich auch im Lauf einer langen Ehe unsere menschliche Liebe immer wieder nähren.
Den Partner wahrnehmen
Es gibt aber auch Haltungen und Verhaltensweisen, die unsere Beziehung nähren. Da ist einmal die Wahrnehmung des anderen in seinem
Eigensein und Anderssein. Wir legen im Alltag den anderen oft fest auf das, was wir von ihm erwarten, oder auf das, was wir von ihm kennen. Da braucht es
immer wieder einen Schritt zurück, aus dem Alltagsgeschehen heraus, um von dort aus einen neuen Blick auf den anderen zu werfen. Es ist kein Blick, der
analysiert oder beurteilt, sondern ein Blick, der wahrnimmt, der die Wahrheit des anderen aufleuchten lässt. Wahrheit heißt im Griechischen ja aletheia . Das meint: Das Wesen des Seins wird der Vergessenheit entrissen. Der Schleier wird weggezogen, damit wir auf die eigentliche Wirklichkeit
schauen. So geht es in der Wahrnehmung des anderen darum, den Schleier wegzuziehen, den der Alltag immer wieder auf den anderen legt und ihn uns verbirgt,
damit wir ihn in seinem wahren Wesen unverhüllt schauen. Das Geheimnis des anderen wird in der Wahrnehmung der Vergessenheit entrissen. Im Alltag
vergessen wir immer wieder, wer der andere eigentlich ist. Wahrnehmen heißt: Ich erinnere mich an seine eigentliche Wahrheit. Ich nehme seine Wahrheit in
die Hand und trage sie gleichsam wie eine kostbare Perle in meiner Hand. Ich vereinnahme diese Perle nicht, sondern schaue auf sie als auf etwas, das so
anders ist als ich und das mich doch auch an die Perle in meiner eigenen Seele erinnert.
Wertschätzung schenken
»Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass. Das Gegenteil von Liebe ist Gleichgültigkeit.« Dieser Satz von Elie Wiesel stimmt für alle
menschlichen Beziehungen. Wem der andere gleichgültig ist, der nimmt ihn gar nicht mehr wahr. Den anderen wahrnehmen, das drückt sich in der Haltung von
Respekt und Wertschätzung aus. Respekt und Wertschätzung sind zwei Weisen des Sehens. Respekt kommt von respicere , nochmals auf den anderen
schauen. Weil ich im Alltag oft am anderen
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