Was die Nacht verheißt
in die Nähe des Sofas zu stellen. »Mein Bruder und Miss Winters haben mich überredet, mich noch einmal Eurem teuflischen Ziehen und Stechen auszusetzen. Wenn Ihr deswegen hergekommen seid, gehen wir an die Arbeit. Ich habe Wichtigeres zu tun, als der Fantasie meiner Freunde einen Gefallen zu tun.«
Der Doktor sagte dazu nichts, nickte nur und ging hinüber zu seiner Ledertasche. Er öffnete sie und begann, seine Instrumente hervorzuholen.
»Ich schicke Frederick herunter, damit er dir beim Ausziehen helfen kann«, sagte Rex zu Marcus. »Miss Winters und ich werden im grünen Salon warten, bis du nach uns schickst.«
Als sie hinaus in den Flur gingen, murmelte Marcus etwas, das Brandy nicht hören konnte, und Rex schloss die Tür. Ihre Handflächen waren feucht von Schweiß, und ihr Herz pochte immer noch wild. Sie betraten den grünen Salon, und sie setzte sich auf ein dunkelgrünes Brokatsofa und wartete, während Rex befahl, ihnen Tee zu bringen. Dann kam er zu ihr und setzte sich neben sie, lächelnd und bemüht, sie so gut wie möglich zu unterhalten, aber ihre Gedanken schweiften immer wieder ab, und sie konnte sich einfach nicht auf das Gespräch konzentrieren. Schließlich gab er es auf, und sie beide verstummten.
Sie versuchte, nicht an Marcus zu denken und daran, was er jetzt empfinden mochte, doch das war unmöglich. Mein Gott, tat sie das Richtige? Sie hatte ihn gedrängt, sich untersuchen zu lassen, hatte beide Brüder dazu gedrängt, diese Chance wahrzunehmen. Und wenn der Doktor seine Meinung änderte? Würde Marcus seine letzte Hoffnung verlieren? Vielleicht hatte er das schon, aber Brandy glaubte es eigentlich nicht.
Jeden Tag versuchte er, seine Beine zu bewegen, hatte er gesagt. Brandy glaubte, dass die Hoffnung immer noch wie eine kleine Flamme in ihm brannte. Wenn Merriweather nicht mehr an Marcus’ Genesung glaubte, würde das vielleicht das letzte bisschen Glut unter diesem Flämmchen ersticken.
Sie rückte auf dem Sofa hin und her. Vor Aufregung war ihr Mund ganz trocken. »Das scheint ja ewig zu dauern.«
Rex sah auf von dem Papier, das er zu lesen vorgab. »Mir ist es lieber, wenn der Arzt etwas länger braucht, als wenn er die falsche Prognose stellt.«
Ihr Magen zog sich zusammen, als würde er einen Knoten bilden. »Ja, ja, natürlich. Das finde ich natürlich auch.« Aber dadurch wurde das Warten nicht leichter. Sie verfielen wieder in Schweigen. Brandy begann, das Ticken der Uhr wahrzunehmen - nein, es gab sogar mehrere, stellte sie fest, eine vergoldete auf dem Kaminsims, eine aus schwarzem Teakholz auf einem geschnitzten Tisch an der Wand und eine kleinere mit einem Zifferblatt aus Porzellan, mit kleinen blauen Blumen darauf, die alle drei zusammen tickten und ihr auf die Nerven gingen.
Die Minuten vergingen, eine Stunde. Rex hatte jeden Versuch zu lesen aufgegeben und lief vor dem Fenster auf und ab. Brandy zappelte auf dem Sofa herum, trank einen Schluck von ihrem Tee, der inzwischen kalt war, und dann ertönte ein lautes Klopfen an der Salontür.
»Gott sei Dank.« Rex ging hin. »Egal, was der Doktor sagt, es kann nicht schlimmer sein als die schrecklichen Gedanken in meinem Kopf.«
Das stimmte. Und so machten sie sich zusammen auf den Weg den Flur entlang zu dem Raum, in dem der Arzt wartete, hielten einen Augenblick vor der Tür inne, um sich zu sammeln, dann öffnete Rex die hohen, geschnitzten Türflügel.
Marcus saß auf einem Sofa auf der anderen Seite des Zimmers, wie zuvor in taubengraue Kniehosen, ein weißes Baumwollhemd und einen marineblauen Rock gekleidet. Sein Ausdruck war so verschlossen und hart, dass sie sicher war, die Prognose war schlecht ausgefallen.
Ihr Herz zog sich zusammen. Mein Gott, was hatte sie getan? Sie wollte ihm helfen, und das Einzige, was sie schaffte, war, ihm noch mehr Schmerz zu bereiten. Sie schluckte so schwer, dass sie sicher war, alle würden es hören können. Ihre Beine zitterten, als sie über den Orientteppich ging. Obwohl sie wusste, dass sie das nicht tun sollte, konnte sie einfach nicht widerstehen und setzte sich auf das Sofa neben Marcus. Er schaute finster, bat sie aber nicht, woanders hinzugehen. Spontan griff sie nach seiner Hand, hob sie zu ihren Lippen und drückte einen weichen Kuss in seine Handfläche.
Ich liehe dich, wollte sie sagen. Dies alles ist nicht wichtig. Ich liebe dich so sehr.
Stattdessen wandte sie den Blick von seinem Gesicht ab, sah den besorgten Ausdruck im Gesicht seines Bruders wie eine
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