Was die Nacht verheißt
Sie fragte sich, was es mit ihrer Freundschaft wohl auf sich gehabt haben mochte, dachte, dass es vielleicht zu irgendeinem Konflikt zwischen ihnen gekommen war, sagte aber nichts dazu. Sie gab sich die größte Mühe, Marcus Delaine zu vergessen. Aber es gelang ihr nicht.
Brandy ging zwischen den mit grünem Filz bezogenen Ti-schen hindurch und sah den Männern zu, die Whist spielten. Richard und sein Vater saßen an einem Tisch in der Ecke, lachten, spielten mit kleinen Einsätzen und vergnügten sich hauptsächlich am Spiel. Eine Weile lang hatte sie neben Richard gestanden, und er hatte den Eindruck gemacht, dass er sich über ihre Anwesenheit freute.
In ein paar Tagen hatte er vor, ihre Verlobung öffentlich bekannt zu machen. Er wollte, dass sie so bald wie möglich heirateten, und Brandy hatte dem zugestimmt. Er war wirklich ein sehr netter Mann.
Sie verließ den Spielraum und wanderte hinaus auf die Terrasse. Es entsprach kaum dem Anstand, ohne Begleitung hier draußen zu sein, aber das Verlangen nach frischer Luft und einem Augenblick Alleinsein trieb sie zu verzweifelten Maßnahmen. Sie seufzte und trat zu einer Balustrade im Schatten, von der aus man auf einen kleinen Garten hinabsehen konnte. Fackeln erleuchteten schmale Kieswege, und Stiefmütterchen, Osterglocken und Tulpen waren aufgeblüht.
»Wie ich sehe, machst du dir immer noch nicht besonders viele Gedanken um deinen guten Ruf.« Beim Klang von Marcus’ tiefer Stimme drehte sie sich mit einem Ruck um. »Ich bezweifle, dass es deinem Verlobten gefallen würde, zu wissen, dass du ganz allein hier draußen bist.«
Sie hob ihr Kinn ein wenig. »Ich wusste nicht, dass du hier draußen bist, sonst wäre ich sicher nicht gekommen.«
Er lachte leise mit einem verführerisch tiefen Grollen in der Brust. Sie schauderte flüchtig.
»Das kann ich mir denken«, sagte er. »Schade, übrigens.« Er trat näher, seine schlanke, hoch gewachsene Gestalt war jetzt dicht neben ihr. Sie spürte die Wärme seines Körpers und roch den würzigen Duft seines Rasierwassers.
»Warum folgst du mir? Was willst du?«
»Weißt du das denn wirklich nicht? Oder tust du vielleicht nur so?«
Sie befeuchtete ihre Lippen, die plötzlich schrecklich trocken waren. »Warum bist du zurückgekommen? Dein Bruder sagte, du hättest dein Schiff auf den Westindischen Inseln zurückgelassen und wärest allein nach London gekommen.«
Er streckte die Hand nach ihr aus und strich mit einem langen dunklen Finger über ihr Kinn. »Vielleicht bin ich deinetwegen zurückgekommen. Vielleicht habe ich bemerkt, dass du mir fehlst.«
Sie schüttelte nur den Kopf und machte einen Schritt rückwärts. »Es muss doch noch einen anderen Grund geben, etwas Wichtiges, das du tun wolltest. Wegen einer Frau würdest du dein Schiff nie verlassen.«
Seine Stirn legte sich in Falten. Sein unruhiger Blick zeigte eine Sehnsucht, die sie nicht verstand. »Du bist nicht nur einfach eine Frau, Brianne.« Er trat noch näher, sein Bein streifte den Saum ihres Kleides, und die Luft um sie herum schien dichter zu werden. Sein Blick wanderte über ihr Gesicht und bis zu ihrem Mund. »Du bist anders, Brianne. Du bist wirklich einzigartig. Das hätte ich dir schon vor langer Zeit sagen sollen.«
Sie starrte in sein gut aussehendes dunkles Gesicht, und bevor sie seine Absicht ahnen konnte, beugte er sich herab und drückte seine Lippen auf die ihren. Brandy schnappte nach Luft, und ihre Lippen öffneten sich überrascht, sodass Marcus’ Zunge eindringen konnte. Seine Hände zogen sie hart und kräftig in seine Umarmung und drückten sie an sich.
Einen Augenblick lang gehörte sie wieder ihm, und die Welt fühlte sich nicht mehr schief an, wie so lange schon, sondern richtete sich scheinbar wieder auf, und alles kam wieder genau an seinen richtigen Platz. Sie küsste ihn mit all der Liebe, die sie einst für ihn empfunden hatte, mit der Kraft all dessen, was sie verloren hatte, als er sie verließ. Einen Augenblick lang erglühte in ihr wieder der Traum von einem Leben mit ihm, so frisch und schön wie eh und je.
Dann dachte sie an Richard, an seine freundliche Art, seine Treue. Marcus zu lieben würde nur noch mehr Schmerz bedeuten, noch mehr Kummer und Verlustgefühle. Sie drückte ihre Hände an seine Brust und stieß ihn von sich, trat ein paar Schritte zurück und atmete tief und heftig ein.
»Das ... das hätte nicht geschehen dürfen. Und es wird nie wieder geschehen. Wenn du willst, dass wir Freunde
Weitere Kostenlose Bücher