Was die Nacht verheißt
hätte sie zum Tanzen auffordern können, aber das hatte er schon mehrmals getan, und sie wusste dank Professor Felton, dass es Tratsch hervorrufen würde, solange sie noch nicht offiziell verlobt waren.
Außerdem stand noch ein anderer Name auf ihrer Tanzkarte, ein Mann, dem sie eben erst vorgestellt worden war, ein Freund des Marquis namens Palmer Reese, der ein reicher Reeder war und angedeutet hatte, dass er mit den Delaines befreundet war.
Vielleicht wollte sie deshalb gern mit ihm tanzen. Vielleicht wusste er etwas von Marcus, womöglich sogar, wo er war und wie es ihm ging. Sie wusste, dass ihr das eigentlich egal sein müsste. Sie hatte kein Wort mehr von ihm gehört, seit er fortgegangen war. Aber sein Bruder auch nicht. Brandy wünschte nur, dass er in Sicherheit war und sich nicht noch mehr »Unfälle« auf seinen Schiffen ereignet hatten.
Mr. Reese erschien pünktlich zu Beginn des nächsten Tanzes. Er war ziemlich gewagt in einen leuchtend grünen Frack mit perlenbesetztem grünem Samtkragen gekleidet und betrat die Tanzfläche mit ihr zu einem lebhaften Ländler. Sie entdeckte Rex, als sie ging, und wunderte sich über den überraschten Ausdruck auf seinem Gesicht. Er runzelte die Stirn, als sie zu tanzen begannen, dann verschluckte ihn die Menge, und sie dachte nicht weiter an ihn.
Sie sah ihren Partner Palmer Reese an. Er war ein gut aussehender Mann mit welligem kaffeebraunem Haar. Seine Züge waren fein, fast sogar ein wenig weiblich. Seine Manieren waren gut, vielleicht sogar ein wenig übertrieben. Warum sie ihn von Anfang an nicht leiden konnte, war ihr nicht klar.
Sie sah mit einem bemühten Lächeln zu ihm auf. »Ich glaube, als wir uns das letzte Mal begegnet sind, habt Ihr erwähnt, ein Freund von Lord Hawksmoor gewesen zu sein.«
»Ja ... unsere Familien sind seit vielen Jahren bekannt. Wir sind als Kinder zusammen aufgewachsen.« Bildete sie sich das Zucken nur ein, das unter einem seiner Augen sichtbar war? »Lord Halliday sagte mir, Ihr wäret auch eine Freundin der Delaines.«
Sie errötete flüchtig. Sie hatte gewusst, dass dies Gespräch etwas brenzlig werden könnte. »Mein Vater hatte Besitz in Charleston. Kapitän Delaine - Lord Hawksmoor, meine ich -ist dort oft mit seinem Schiff gewesen. Ich kenne ihn, seit ich ein kleines Mädchen war.«
»Aha.«
»Ihr müsst wissen, dass er letztes Jahr verletzt worden ist. Sogar sehr ernst.«
»Davon habe ich gehört.«
»Es geht ihm jetzt wieder besser, er ist wieder an Bord seines Schiffes.«
Das Zucken wurde ausgeprägter. »Soweit ich erfahren habe, wird er diesmal wohl sehr lange unterwegs sein. Als Letztes hörte ich, die Seehabicht wäre mit einer Ladung auf dem Weg nach Indien und von da aus weiter nach China, glaube ich.«
Wie konnten so wenige Worte einen solchen Schmerz in ihrem Herzen hervorrufen? »Er wollte immer schon einmal den Fernen Osten sehen«, sagte sie.
Palmer betrachtete sie mit erneutem Interesse, und sie fragte sich, ob sie wohl zu weit gegangen war. »Und was ist mit Euch, Mr. Reese?«, fragte sie ein wenig zu fröhlich, auf der Suche nach einem Themawechsel. »Man sagte mir, Ihr hättet ebenfalls eine recht bemerkenswerte Armada von Schiffen. Segelt Ihr auch gern zu fernen Häfen?«
Einer seiner Mundwinkel hob sich. »Gelegentlich, wenn es notwendig ist, aber glücklicherweise nicht allzu oft. Die See ist mein Geschäft, nicht meine Leidenschaft. Ich bin recht zufrieden damit, hier in London zu bleiben, wenn ich kann.«
Sie lachte und ließ sich von ihm durch den Tanz führen. »Da muss ich Euch Recht geben«, sagte sie, um ihn abzulenken. Dabei hatte es doch in Wahrheit eine Zeit gegeben, als sie gern Abenteuer erleben und nichts lieber hätte tun wollen, als zu reisen und die Welt zu sehen. Seit Marcus fort war, schienen ihr diese Dinge nicht mehr wichtig.
Sie verbannte die Gedanken an ihn. Bald würde sie die Frau eines anderen sein, hatte schon Lord Richards Antrag angenommen. Er verdiente ihre Treue. Sie sagte sich wie schon öfter, dass sie ihm eine gute Frau und seinen Kindern eine gute Mutter sein würde.
Zumindest dachte sie das, bis sie zum Eingang des Ballsaals hinüberschaute. Brandy schnappte nach Luft angesichts des hoch gewachsenen, eindrucksvollen Mannes, der in ihre Richtung starrte. Marcus Delaine, der Graf von Hawksmoor, stand dort an der Tür.
Brandy stolperte und wäre beinah gefallen, ihr Herz pochte wie wild. Palmer Reese hielt sie am Arm fest, da sie schwankte. Marcus
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