Was die Nacht verheißt
aufgehört, vielleicht einfach aus Versehen. Da er Palmer kannte, wie sein Vater ihn gekannt haben musste, war es wohl Absicht gewesen. »Ausdruck seines Schuldgefühls, vermute ich«, sagte Marcus. »Vater war nicht bereit, das Kind als seinen Sohn anzuerkennen, aber ganz aufgeben wollte er ihn auch nicht.«
»Das klingt so, wie es zum alten Grafen gepasst hätte, aber es fällt mir schwer anzunehmen, dass Palmer Reese unser Bruder ist.«
»Halbbruder«, korrigierte Marcus bitter.
»Bin ich auch«, erinnerte ihn Rex leise.
»Mein Vater hat deine Mutter geliebt. Das ist ja wohl kaum dasselbe. Nach diesen Papieren zu urteilen, war Avery Reese’ Schwester, Rachael Stowe, eine hübsche junge Witwe mit einem schlechten Ruf. Als sie bei der Geburt starb, nahm Avery Palmer an Sohnes statt auf.«
»Und das nicht aus reiner Gutherzigkeit, wenn ich richtig zwischen den Zeilen lese.« Rex rutschte auf dem Sofa herum. »Vater hat für Palmers Ausbildung bezahlt, selbst für das Haus, in dem er aufgewachsen ist.«
»Der Graf war schon verheiratet, als Palmer geboren wurde, aber der Junge war trotzdem sein ältester Sohn. Wenn Vater ihn anerkannt hätte, wäre er der Erbe des Hawksmoor-Vermögens gewesen.«
Rex’ Züge wurden hart. »Die Rache ist mein, spricht der Herr. Ich würde sagen, dass das ein verdammt gutes Motiv für die Angriffe auf die Hawksmoor Schifffahrtsgesellschaft ist!«
»Palmer hatte immer eine Abneigung gegen uns. Jetzt verstehe ich, warum.«
»Er dachte, er hätte derjenige sein müssen, der den Titel und das Vermögen erbt.«
»Ganz offensichtlich. Zusammen mit den finanziellen Problemen, denen er gegenüberstand - ganz abgesehen von dem vielen Geld, das er seit den >Unfällen< verdient hat -, würde ich sagen, dass er jedes nur erdenkliche Motiv hat. Unglücklicher-weise sind diese Dokumente immer noch nicht genug Beweis für die Gerichte.«
»Also, was sollen wir in der Sache unternehmen?«, fragte Rex.
Marcus rieb sich das Kinn. »Ich bin nicht sicher. Aber ich werde nicht ruhig dastehen und ihn damit davonkommen lassen.«
Rex lächelte nur. »Das hatte ich auch nie erwartet, großer Bruder.«
Brandy stand am Fenster des Salons. Durch den Garten hinter dem Haus konnte sie Marcus sehen, der an den Klippen entlangwanderte, den Blick auf die Segel eines Schiffs in der Ferne gerichtet, das vor dem Horizont erkennbar war.
Ein kleiner Anflug von Sorge berührte sie. War das Sehnsucht, die sie auf seinem Gesicht sah, wenn er hinaus aufs Meer starrte? Was dachte er? Was fühlte er?
Brandy wusste, was sie fühlte. Sie liebte ihn mehr denn je, doch in den Wochen, seit sie geheiratet hatten, wollte ihre Sorge einfach nicht ganz verschwinden, jene kleine, nagende Furcht, dass er sie früher oder später verlassen würde.
Sie sah ihn umkehren und zurück zum Haus kommen. Vielleicht dachte er an Palmer Reese und die Neuigkeiten, die Rex vor drei Tagen aus London gebracht hatte. Reese war Marcus’ unehelicher Halbbruder und offensichtlich der Mann hinter den Angriffen auf die Hawksmoor Schifffahrtsgesellschaft, der Mann, der ihn beinah seine Beine gekostet hatte.
Was würde Marcus unternehmen ? Diese Frage war ihr x-mal durch den Kopf gegangen, seit er ihr von dieser Entdeckung berichtet hatte. Mit einem Seufzer verließ sie den Salon und machte sich auf die Suche nach ihm. Als sie zum Eingang kam, sah sie ihn im Gespräch mit dem Butler, der offensichtlich eine Nachricht entgegengenommen hatte. Rex kam auch gerade vorüber.
»Sie ist von Tom Darton, meinem Verwalter der Hawksmoor Schifffahrtsgesellschaft«, sagte Marcus und ging voraus in sein Arbeitszimmer. Brandy trat hinter den beiden Männern ein.
»Was steht darin?«, fragte Rex.
»Es geht um die demnächst fällig werdende Erneuerung des Transportvertrages für Consolidated Sugar. Sie sind der wichtigste Kunde der Hawksmoor Schifffahrtsgesellschaft. Tom macht sich Sorgen, dass wir den Vertrag vielleicht verlieren könnten.«
»Das würde sicher ein Problem werden«, sagte Rex. »Vor allem nach so vielen anderen Schwierigkeiten im vergangenen Jahr.«
Marcus nickte, den Blick immer noch auf den Brief gerichtet. »Tom sagt, die Consolidated hätte sich entschlossen, die Sache dieses Jahr ein wenig anders anzugehen.«
»Inwiefern anders?«, fragte Brandy
»Sie werden einen Wettbewerb abhalten für die Bewerber um den Transportvertrag. Das ist nicht ungewöhnlich, obwohl sie es bisher noch nie so gemacht haben. Sie werden den Vertrag an
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