Was die Nacht verheißt
Hamish Bass im Laderaum der Seehabicht. Er hob ein gebrochenes Stück von der hölzernen Halterung für die Ladung auf und drehte es im Licht der Walöllaterne um, die der Erste Maat hielt. Er betrachtete den Einschnitt im Holz, der von einem Messer oder einer Säge hätte stammen können, und die Eindrücke an der Seite, die aussahen, als wären sie die Folge von Schlägen mit einem Hammer.
»Dieses Stück hat jemand geschwächt, genau wie eine ganze Menge von den anderen. Wenn Dobbs nicht hier unten gewesen wäre, als die Ladung begann, sich zu bewegen, dann hätten wir jetzt vielleicht nicht nur eine blockierte Steuerung, sondern das Schiff wäre vielleicht sogar gekentert.«
Hamish Bass wirkte, als wäre ihm unbehaglich. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, wir stehen unter einem Fluch.«
»Falls es so ist, dann ist es ein von Menschen verursachter Fluch. Es ist entweder einer aus der Mannschaft oder jemand von außerhalb, der einen von hier angestiftet hat, das zu tun. In jedem Fall müssen wir herausfinden, wer es ist.«
»Aye, Sir, das werden wir machen.«
»Und wir müssen dafür sorgen, dass das nicht noch einmal vorkommt.«
Hamish kratzte sich den schweren grauen Bart. »Das wird nicht leicht sein. Wir haben keinen Grund, irgendjemand Be-stimmten zu verdächtigen. Niemand verhält sich seltsam. Abgesehen von dieser Sache ist weiter nichts Ungewöhnliches passiert. Hätte jeder gewesen sein können.«
Marcus strich mit einem langen dunklen Finger über das gebrochene Holz und sah sich noch einmal den eigenartigen Einschnitt an. »Verdammt, warum machen die das? Was versuchen sie damit zu beweisen?«
»Keine Ahnung, Käpt’n. Wenn wir das wüssten, kämen wir wahrscheinlich auch drauf, wer es gewesen ist.«
Da hatte Hamish Recht. Irgendjemand versuchte, der Hawksmoor Schifffahrtsgesellschaft Schwierigkeiten zu bereiten. Aber warum? Wer stand hinter diesen Angriffen? Und was wollte er damit bezwecken? Mein Gott, Marcus wünschte, er wüsste es.
»Ich will, dass die Wachen verdoppelt werden. Wenn irgendjemand etwas sieht, das nicht in Ordnung erscheint, soll er es mir oder dir melden.«
»Aye, Sir. Ich werde mich selbst darum kümmern.«
Marcus nickte. Er machte sich Sorgen, das stand fest. Nicht nur die Leben der fünfzig Männer seiner Mannschaft standen auf dem Spiel, sondern jetzt auch noch das einer Frau.
Brandy schlief, obwohl sie eigentlich nicht damit gerechnet hatte. Keiner weckte sie, wie sie erwartet hatte, und es war schon spät am Morgen, als ihre Augen sich mit einem Ruck öffneten und die Sonne durch das kleine Fenster hereinschien, das eines in einer Reihe von Fenstern am Heck des Schiffes war, direkt neben dem des Kapitäns. Sie fuhr mit einem Ruck hoch und stöhnte bei dem plötzlichen scharfen Schmerz, der durch ihren Kopf fuhr.
Sie schob die Beine über den Rand der schmalen Koje des Kajütenjungen und wartete einen Augenblick, bis der Schmerz nachzulassen begann. Langsam stand sie auf und ging hinüber zu dem Porzellankrug auf dem Tisch, dem einzigen Möbelstück im Raum außer der Koje und einem Nachttopf darunter.
Brandy goss Wasser in die Schüssel, wusch sich das Gesicht und war dankbar, als sie feststellte, dass, wenn sie sich nicht ruckartig bewegte, sie sich einigermaßen normal fühlte. Als sie ihre hastige Wäsche beendet hatte, zog sie ihre Kleider an und streckte den Kopf durch den schmalen Eingang mit dem Vorhang.
Kapitän Delaine war natürlich schon längst fort, und sie fühlte sich ein wenig schuldbewusst, weil sie nicht aufgestanden war und arbeitete so wie er. Entschlossen, ihn zu finden, oder wenigstens die Kombüse mit Mr. Lamb, zog sie die Tür auf und trat in den Gang hinaus.
Ein Licht an seinem Ende führte sie zur Leiter, die zum Deck hinaufreichte. Sie war schon beinah oben angekommen, als sie aufsah und ein Paar glänzender schwarzer Stiefel vor sich entdeckte. Sie umschlossen lange, muskulöse Beine in engen schwarzen Kniehosen. Schmale Hüften und eine ebenso schmale Taille verbreiterten sich nach oben zu Schultern so breit wie die Leiter. Marcus Delaine sah finster auf sie herab, die glatten schwarzen Augenbrauen streng zusammengezogen.
»Darf ich fragen, was Ihr hier draußen tut, Miss Winters?« Die Kälte in seiner Stimme war ebenso frostig wie ihr Name. »Ich glaube, ich hatte Euch doch gesagt, dass Ihr die Kajüte nicht verlassen dürft.«
»Ich ... ich -« Sie machte einen Schritt rückwärts die Leiter wieder
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