Was die Nacht verheißt
natürlich nicht geglaubt.«
»Warum nicht?«
»Weil ihm fünf andere gute Ärzte gesagt haben, der Mann wäre ein Dummkopf. Sie meinten, es wäre besser, wenn er die Wahrheit dessen, was geschehen ist, akzeptiert und damit zu leben lernt, als wenn er sich an eine falsche Hoffnung klammert und sein Leben damit verbringt, etwas zu versuchen, das nicht möglich ist.«
Brandy dachte darüber nach. Sie versuchte, die Sache so zu sehen, wie Marcus es tun würde, sich vorzustellen, wie es sich anfühlen könnte, wenn man sich Hoffnungen machte und glaubte, man könnte vielleicht wieder zu dem Leben zurückkehren, das man einst gehabt und geliebt hatte, um dann elendiglich zu versagen. Trotzdem konnte sie das kleine bisschen Ermutigung nicht einfach übergehen.
»Mir ist klar, dass Ihr mich kaum kennt. Ihr habt nicht den geringsten Grund, Euch meine Meinung anzuhören oder ihr irgendeine Bedeutung beizumessen, und trotzdem hoffe ich, dass Ihr es tun werdet.«
»Marcus hatte eine hohe Meinung von Euch. Ihr seid Tausende von Meilen gereist, weil Euch viel an ihm liegt. Das ist Grund genug für mich, allem, was Ihr zu sagen habt, zuzuhören.«
»Dann bitte ich Euch, jenen jungen Arzt noch einmal nach Hawksmoor House zu holen, damit er Marcus noch einmal untersuchen kann.«
Rex schüttelte den Kopf. »Ich wünschte, ich könnte das, wirklich. Wenn ich in irgendeiner Weise glauben könnte, dass seine Theorie auch nur die geringste Basis hat, würde ich keinen Moment zögern, ihn herzuholen. Wenn mein Bruder sich überzeugen ließe, dass er den Gebrauch seiner Beine zurückgewinnen könnte, nur um dann einen Misserfolg zu erleben, glaube ich, dass es ihn wirklich vernichten würde.«
Brandy stellte Tasse und Untertasse ab, stand auf und ging über den orientalischen Teppich hinüber zu dem hohen Fenster. Das in reichem, dunklem Holz getäfelte Arbeitszimmer lag an der Frontseite des Hauses und blickte über die gewundene, kiesbestreute Auffahrt zur Straße, die zum Dorf führte. Heute schien die Sonne heiß auf die Bäume der Allee und glitzerte in dem Springbrunnen vor dem Eingang.
»Vielleicht habt Ihr Recht«, sagte sie, den Blick auf einen kleinen, gefleckten Vogel gerichtet, der auf einem Ast saß. »Vielleicht ist es das Risiko nicht wert.« Auf jeden Fall noch nicht. Nicht, solange Marcus’ Zustand noch so schlecht und instabil war. Zuerst würde er heilen müssen, nicht nur körperlich, sondern auch seelisch. Er würde lernen müssen, die Schönheit des Lebens wieder zu sehen und dass es nicht wirklich wichtig war, ob er gehen konnte oder nicht.
»Werdet Ihr morgen wiederkommen?«, fragte Rex und trat neben sie ans Fenster.
Brandy wandte sich zu ihm um. »So lange er mich braucht, werde ich kommen.«
Rex lächelte. »Mein Bruder mag das vielleicht nicht glauben, aber in manchen Beziehungen ist er ein Mensch, der sehr viel Glück hat.«
Brandy lächelte und stellte fest, dass sie Rex Delaine zusehends lieber mochte.
Sie verließ das große steinerne Herrenhaus und ging zurück in ihr Häuschen, und wie sie versprochen hatte, kehrte sie jeden Tag zurück. Zuerst war Marcus immer zornig, fuhr sie an und sagte grausame Dinge, nur um sie zu verletzen.
Wie an jenem Tag, als sie in ihrem pinkfarbenen Satinkleid mit dem leuchtend grünen Unterrock kam. Es hatte kurze Puffärmel, einen hohen Rüschenkragen und war am Oberteil gerafft. Marcus hasste es auf den ersten Blick.
»Wie ich sehe, kommst du mal wieder in einem von deinen schrecklich hässlichen Kleidern.«
Erschrocken sah sie ihn an. »Dir ... dir gefällt es nicht, wie ich angezogen bin?«
Er grunzte. »Knallrosa und Giftgrün? Wohl kaum. Mit deinen leuchtend roten Haaren dazu siehst du aus wie eine Pfauenhenne, die sich die Federn ihres Hahns geliehen hat.«
Ein kleines Stöhnen entrang sich ihrer Kehle. Als sie schließlich ihre Stimme wiedergefunden hatte, klang sie nur schwach und undeutlich.»A-aber ich habe ein Vermögen für diese Kleider bezahlt. Sie stammen von einer sehr teuren Schneiderin in Charleston. Sie hat mir versichert... s-sie sagte, sie wären die neueste Mode.«
Ihm musste aufgefallen sein, wie blass sie geworden war, denn ein wenig von der Bitterkeit schien aus seiner Stimme zu schwinden. »Das sind sie ganz bestimmt. Vielleicht würden sie an einer anderen Frau auch ganz brauchbar aussehen. Aber an dir stimmen sie einfach ganz und gar nicht.«
Sie drohte in Tränen auszubrechen. Mit keiner seiner anderen Spitzen war es ihm
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