Was die Seele krank macht und was sie heilt
auch öffentlich durch den Schmutz gezogen. In der Aufstellung kam er in Kontakt mit seinem Vater. Er spürte in seinem ganzen Körper, wie tief er seinen Vater verletzt hatte. Ich forderte den Klienten auf, sich vor seinem Vater zu verneigen und ihm in seiner asiatischen Muttersprache 7 zu sagen: »Es tut mir so leid, was ich dir alles angetan habe.« Er sagte den Satz nicht, aber es dauerte nicht lange, da schluchzte der Mann hemmungslos. »Nie hätte ich gedacht, wie furchtbar weh ihm meine Verletzungen getan haben müssen. Ich kann es überhaupt nicht aussprechen, wie schlimm es gewesen ist.« Der Mann wälzte sich auf dem Boden vor Schmerz. Ich bat ihn, dem Vater in die Augen zu schauen und ihm jetzt mit Kraft den Satz zu sagen. Er sagte den Satz aber auf deutsch.
Als Therapeut muß man darauf achten, daß die zentralen Sätze in der Muttersprache des Klienten gesprochen werden. Als ich den Mann darauf hinwies, erwiderte er: »Auf deutsch ist es viel leichter!« Doch in der Muttersprache ist die seelische Wirkung meist stärker - es schmerzt intensiver. In der Arbeit mit Ausländern habe ich immer wieder die Erfahrung gemacht, daß die Betreffenden lieber deutsch wählen, weil sie auf diese Weise auf Distanz gehen können.
Wie dieser Klient mir erzählte, war auch sein Vater sexsüchtig. Der Sohn verachtete ihn auch aus diesem Grund. Hinter dem Haß und der Verachtung wird die tiefe Bindung an den Vater deutlich. Indem der Vater fanatisch abgelehnt wird, entwickelt man sich so wie er. Stimmt man ihm aber zu, wie er ist, muß man problematische Seiten nicht übernehmen. Als der Mann seinem Vater in seiner Muttersprache sagte: »Lieber Vater, ich bin genau so wie du«, konnte er deutlich spüren, wie stimmig und wie heilend dieser Satz für ihn war. Einige Zeit später sah ich den Klienten erneut. Er sagte, daß er nie geglaubt hätte, daß sich sein Leben in derart kurzer Zeit ändern könnte. Er habe jetzt ein vollkommen neues Lebensgefühl, und zum ersten Mal spürte er Zuversicht, daß er seine Probleme bewältigen könne. Betroffen und voller Scham fühlte er sich allerdings, wenn er an den Vater dachte. Nach 20 Jahren des unterbrochenen Kontakts nahm er sich vor, die Adresse des im Ausland lebenden Vaters herauszubekommen. Er spürte, wie dringend ihm das Anliegen war, dem Vater nicht nur innerlich, sondern auch auf der realen Ebene zu sagen, wie leid es ihm tue. »Allein der Gedanke, daß er meine Zeilen liest, tut mir so gut«, gestand er.
Schlimme Folgen hat es auch, wenn ein Kind seine Eltern anzeigt oder wegen Studiengeldern oder anderer Forderungen verklagt. Das Kind wird für diese Anmaßung sühnen. So muß beispielsweise auch ein mißhandeltes Kind seine Eltern nehmen, wie sie sind, um dann in Frieden seinen eigenen Weg gehen zu können. Haß und Rache haben eine stark bindende Wirkung, doch wen wir lieben, der gibt uns frei. Umgekehrt können aber auch Eltern ihr Recht auf die Liebe des Kindes verspielen, zum Beispiel wenn sie ein Kind leichtfertig weggeben.
In einem Fall hatte die Mutter einer jungen Frau den Vater ermordet, als die Tochter noch ein kleines Kind war. In der Aufstellung wurde deutlich, daß die Mutter ihr Recht auf das Kind verloren hatte. In der Realität bestand auch kein Kontakt zwischen Mutter und Tochter. In der Aufstellung sagte die Tochter zu ihrer Mutter: »Ich lasse dich ziehen. Aus meinem Herzen entlasse ich dich in Liebe.« Nachdem die Mutter damals ins Gefängnis gekommen war, wuchs das Mädchen bei der Schwester des ermordeten Vaters auf. Dort hatte sie einen guten Platz, den sie bei den Angehörigen der Mutter nicht hätte finden können.
Wenn Kinder zu Eltern oder Partnern der Eltern werden
Wenn ein Späterer einem Früheren geben will, statt daß er vom Früheren nimmt, wird die Ordnung des Gebens und Nehmens in der Familie gestört. Wenn zum Beispiel in einer schlechten Ehe die Mutter vom Kind nimmt, was sie von ihrem Mann nicht bekommt, dann hat das für das Kind weitreichende Auswirkungen.
Eine solche Umkehrung der natürlichen Ordnung führt dazu, daß das Kind »groß« und die Eltern »klein« werden. Ein Sicherheitsgefühl kann in einem Kind aber nur entstehen, wenn es zu den Eltern aufschauen und sie als stark erleben kann. Das Lebensgefühl eines solchen Kindes kann auch als Erwachsener noch deutlich von Unsicherheit geprägt sein.
Wenn ein Kind in die Rolle gerät, Tröster für die Eltern zu spielen, weil es diese als bedürftig erlebt, belastet
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