Was die Tiere im Park erlebten
Der Kühne fing sich einen kleinen Bissen und hielt an, um ihn unter einer Birke zu verspeisen.
»Hallo«, flüsterte eine Stimme ganz nahebei. »Ich glaube nicht, daß ich dein Gesicht kenne.«
Der Kühne sah sich um und entdeckte Bewegung unter einem Ginsterbusch. Er sah näher hin. »Oh — hallo«, war seine Antwort. »Du bist sicher die Kreuzotter.«
»So ist es«, antwortete die Schlange.
»Mein Vater hat oft von dir gesprochen«, fuhr der Kühne fort.
»Wirklich? Was hat er denn gesagt?«
»Er hat gesagt, daß du eine bemerkenswerte Persönlichkeit bist«, erzählte der Kühne ganz offen.
Die Kreuzotter lachte. »Nicht so ganz bemerkenswert für eine Schlange«, sagte sie. »Aber es scheint so, als ob Tiere ohne Beine anderen, die welche haben, immer bemerkenswert erscheinen.«
»Ich glaube nicht, daß er das gemeint hat«, versicherte der Kühne. »Mein Vater und meine Mutter haben allen Grund, sich an deine guten Taten zu erinnern.«
Die Kreuzotter wußte, daß der junge Fuchs auf eine besondere Aktion ihrerseits während der Wanderung der Tiere in den Hirschpark anspielte, als sie tatsächlich das Leben der Füchsin gerettet hatte. Aber sie ließ sich nichts anmerken »Freut mich, das zu hören«, war alles, was sie darauf sagte. »Ich meinerseits bewundere deine Eltern sehr. Hoffentlich halte ich dich nicht auf?«
Der Kühne war viel zu höflich, zu sagen, daß er allein herumstreifen wolle, und hielt die Kreuzotter auch für ein so interessantes Wesen, daß es durchaus geraten schien, ihr zuzuhören. »Wäre nett, wenn du mit mir kämest«, meinte er mehr oder weniger aufrichtig.
»Ich habe natürlich von dem traurigen Ereignis in eurer Familie gehört. Es scheint so, daß aus unserer Anwesenheit im Park gewisse Rivalitäten entstanden sind. Ich muß schon sagen, die etwas friedfertige Reaktion deines Vaters hat mich überrascht. Früher hätte er ganz anders zugeschlagen
- aber da hatte er auch noch nicht die Verantwortung, die er seit kurzem trägt.«
Der Kühne war überrascht über die offene Art der Schlange, aber dann fiel ihm ein, daß sein Vater ihm erzählt hatte, daß die Kreuzotter sich nie ein Blatt vor den Mund nehme.
»Ich bin sicher, wenn der Narbige sich jemals wieder in die Nähe wagt, wird mein Vater ihn töten«, sagte er stolz. »Ja-a-a«, zischelte die Kreuzotter gedehnt, »wahrscheinlich. Nur — wenn der Narbige diesmal wiederkommt, dann vielleicht nicht allein.«
»Mein Vater ist auch nicht allein«, war die hitzige Antwort. »Ich bin fast so groß wie er und würde es sicher nicht zulassen, daß er allein kämpft.«
Ironisch lächelte die Kreuzotter. »Daran habe ich keinen Moment gezweifelt«, versicherte sie dem Kleinen. »Ihr Knaben seid doch immer wild darauf, euren Mut unter Beweis zu stellen.«
Der Kühne hatte das Gefühl, daß seine Hitzigkeit die Schlange amüsierte, aber dieses eine Mal hatte sie es wirklich nicht ironisch gemeint und beeilte sich, ihm das zu versichern. »Ich weiß doch, daß alle Nachkommen des Fuchses und der Füchsin ein tapferes Herz haben«, sagte sie. dieses doppeldeutige Kompliment schmeichelte dem Jungen.
»Hm — erkundest du etwa die Gegend?« fragte die Kreuz-»Nicht gerade«, erwiderte der Kühne unschuldig. »Ich wollte nur diesmal ein bißchen weiter herumstreifen.« Er wollte nicht zugeben, daß er zum ersten Mal allein Ausgang hatte. »Ich frage nur deswegen, weil ich weiß, daß diese Gegend von dem Narbigen und seiner Brut kontrolliert wird.«
Der Kühne spürte plötzlich einen Kloß im Hals sitzen. Trotz seiner mutigen Vorsätze war er noch nicht so weit, daß er diesem Feind allein gegenübertreten mochte. »Oh«, sagte er leise, »hm — so groß ist ihr Gebiet?«
Die Kreuzotter merkte, woher der Wind wehte. »O ja, sehr groß«, antwortete sie, und eine Spur von Bosheit mischte sich in ihre Gefühle. »Sie nehmen für sich das Recht in Anspruch, zu jagen, wo sie wollen.«
Diese Worte machten seiner Angst ein Ende. »Warum sollte ich das nicht auch tun?« fragte er mit entschlossener Stimme.
»Ja, warum nicht?« stimmte ihm die Kreuzotter zu und fragte sich, ob es wohl richtig war, den Kleinen auch noch aufzuhetzen. »Geh nur weiter. Ich halte dich bestimmt nicht zurück.«
Jetzt fühlte der Kühne, daß er gar keine andere Wahl hatte Er wandte sich an die Schlange. »Danke für deinen Rat«, sagte er höflich. »Bleibst du noch länger hier?«
»O ja, irgendwo in der Gegend«, meinte die Schlange
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