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Was die Toten wissen

Was die Toten wissen

Titel: Was die Toten wissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Lippman
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vermutlich »Rothäute« raunte. »Vertritt mich.«
    »Du bist Texaner«, erinnerte ihn Miriam.
    »Deshalb kann ich sie auch nicht ausstehen. Übernimm du das mal. Ich bin hinten.«
    Miriam sah Joe hinterher, wie er zwischen den bunten Vorhängen verschwand, die den Laden von der Werkstatt im hinteren Bereich trennten. Mit seinem roten Gesicht und dem unübersehbaren Kugelbauch unter dem Oxfordhemd sah er ziemlich ungesund aus, aber so hatte er schon immer ausgesehen. Als sie ihn 1990 kennenlernte, hatte sie auf HIV getippt.

    Sein Bauch war seitdem immer dicker geworden, während seine Beine dünne, wackelige Stelzen blieben. Faux Joe, der Falsche Joe und Volkskunst-Beau. Sie hatten sich beide von Anfang an gegenseitig an die »Keine Fragen, keine Antworten«-Regelung gehalten und dabei eine oberflächliche Jovialität bewahrt, und das bereits seit fünfzehn Jahren. Frag mich nicht, dann erzähle ich dir keine Lügen. Erzähl mir keine Geheimnisse, und ich erspar dir meine . Einmal, nach einem langen Abendessen mit viel Alkohol, als Joe von einem jungen Mann, den er seit Monaten umwarb, verschmäht worden war, war er anscheinend kurz davor, sich Miriam anzuvertrauen und alle seine Geheimnisse auszuplaudern. Miriam, die sein Bedürfnis erkannte, hatte die Beichte verhindert, indem sie ihm die Absolution bereits im Voraus erteilte.
    »Wir sind so gute Freunde, wir müssen nicht ins Detail gehen, Joe«, sagte sie und strich ihm über den Kopf. »Ich weiß schon. Ich versteh das auch so. Es ist etwas Schlimmes passiert, etwas, worüber du selten sprichst. Und weißt du was? Du tust vollkommen recht daran, es zu verschweigen. Jeder andere würde das Gegenteil behaupten, aber sie haben Unrecht. Es gibt Dinge, über die man besser nicht spricht. Egal, was du getan hast oder was geschehen ist, du musst dich vor niemandem rechtfertigen, vor mir nicht und auch vor sonst keinem. Noch nicht mal vor dir selbst musst du dich rechtfertigen. Behalte es für dich.«
    Und als sie sich am nächsten Morgen im Laden sahen, wusste sie, dass Joe dankbar war für ihr Verständnis. Sie waren gute Freunde, die nur über Belangloses miteinander redeten, und so sollte es auch bleiben.
    »Ist das echtes Silber?«, fragte eine der Texanerinnen, die zur Tür hereingestürmt war und nach einem Armband in der Auslage grapschte. »Hier in Mexiko soll es ja eine Menge Imitate geben.«
    »Das lässt sich leicht feststellen«, sagte Miriam, drehte das
Armband um und zeigte der Dame den Stempel, der es als Silber auswies. Aber sie gab es ihr nicht wieder zurück. Das hatte Methode. Sie hielt es fest, als zögere sie, das Kleinod aus der Hand zu geben, als wäre ihr gerade gekommen, dass sie es eigentlich selbst gern behalten würde. Ein einfacher Trick, bei bestimmten Kunden bewirkte er jedoch, dass sie ganz versessen darauf waren, das Ding zu besitzen.
    Die Texaner kauften eine Menge Schmuck, was typisch für sie war. Eine der Frauen bewies jedoch überdurchschnittlichen Geschmack und interessierte sich für ein antikes retablo , ein Altarbild der Jungfrau von Guadalupe. Miriam hatte ihr Interesse bemerkt. Sie näherte sich ihr und köderte sie, indem sie der Frau die Geschichte der Heiligen erzählte – von den Rosenblättern, die sie wachsen ließ und die in einer Kutte zum Bischof gebracht wurden, auf der sich das Antlitz der Jungfrau wie durch ein Wunder zeigte.
    »Oh, wie reizend«, zwitscherte die Frau. »Ach, wie reizend. Wie viel soll es denn kosten?«
    »Du kannst ganz schön auf die Kacke hauen«, sagte Joe, als er wieder von hinten vorkam, nachdem die vier Frauen gegangen waren, gefolgt von den überschwänglichen guten Wünschen Javiers.
    »Danke«, sagte Miriam und hielt die Nase in den Windhauch, der beim Hinausgehen der Texanerinnen hereingedrungen war. »Riechst du das …? Liegt da heute Morgen ein seltsamer Geruch in der Luft?«
    »Nur die übliche Modrigkeit, wenn es so nasskalt ist. Warum, was riechst du denn?«
    »Ich weiß nicht. So was wie … nasser Hund.«
    Nicht im Schlafzimmer , würde Sunny berichten. Nicht im Keller. Nicht unter dem Fliederbusch. Nicht auf der Veranda . Es gab natürlich eine unbegrenzte Anzahl von Orten, wo man nicht sein konnte, aber nur einen Ort, an dem man sich befand. Miriam stellte sich gern vor, dass Fitz wenigstens den Weg zu
den Mädchen gefunden hatte und all die Jahre über bei ihnen geblieben war, als treuer Wächter.
    Was Bud betraf, Heathers unselige Schmusedecke, die inzwischen auf ein

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