Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love
selbst. Vielleicht hat das, was Ihnen zugestoßen ist, alle Liebe aus Ihrem Leben gelöscht. Ist noch irgendetwas zum Umbringen übrig? Was hätte ich getötet, wenn ich Sie im Dunkeln die Klippe hinabgestoßen hätte? Mir geht auf, dass ich mir ihn in dem ganzen Strudel aus Hass und Wahnsinn seit Bettys Tod nie ernsthaft tot gewünscht oder vorgestellt habe. Ich wollte ihn verletzen, nicht töten – es gibt nur einen Menschen, den ich je töten wollte. Ich stehe von meinem Stuhl auf und gehe aus der Küche ins Wohnzimmer. Als ich wiederkomme, hat er sich nicht gerührt. Ich halte ihm hin, was in meiner Hand liegt, eine kleine Sammlung Umschläge, hauptsächlich weiß, einer gelb. Er betrachtet sie, ohne sie anzufassen. Ich lege sie auf den Küchentisch zwischen uns, strecke die Hand aus und berühre fast seine Schulter. Ich setze mich, und während wir uns ansehen, sage ich: »Mr. Ahmetaj.« Beim Klang seines Namens sieht er mich überrascht an. »Sie haben mir – Ihre Geschichte erzählt. Ich möchte Ihnen auch etwas erzählen.« Er nickt unsicher, und ich denke daran, wie er mich auf seinen Armen von der Steilküstenkante zum Wohnwagen hinabgetragen hat, obwohl er mich hätte in den Abgrund stoßen können. Er ist stark, und ich bin zurzeit so spindeldürr wie ein Küken. Unwillkürlich frage ich mich, ob mein Vater mich als kleines Kind wohl so getragen hätte, wenn er am Leben geblieben wäre, und wie Leute, die mit Vätern aufgewachsen sind, manchmal neidisch sein müssen auf all das Behütetsein, in dessen Genuss ihr jüngeres Ich gekommen ist, wohingegen ich zumindest kein jüngeres Ich zu beneiden habe. Ahmetaj sieht mich an, wartet auf meine Worte.
17
Eine Woche später ruft David an, kurz nach Mitternacht. Ich bin in Bettys Bett, natürlich wach, liege auf dem Rücken und schaue zur Decke. Als ich unten das Telefon klingeln höre, rappele ich mich auf. Mitternacht. Ich hatte geglaubt, hellwach zu sein, doch als ich schnell und zugleich schwerfällig die Treppe hinabpoltere, merke ich, dass ich gedöst haben muss, weil ich nämlich denke: Einem der Kinder muss etwas zugestoßen sein . Das Klingeln hört auf, bevor ich den Apparat erreiche, aber ich beuge mich schwer atmend darüber und warte, dass es wieder anfängt, um sofort den Hörer ans Ohr zu reißen.
»Laura«, Davids Stimme klingt leise und hilfsbedürftig, belegt vor Verzweiflung.
»Liebling, was ist los?« Ich habe ihn seit Jahren nicht mehr Liebling genannt, erkenne aber daran, wie er meinen Namen sagt und wie spät es ist, dass etwas – und da kommt mir ein abscheulicher Gedanke. »O nein, o nein, ist es was mit Rees?«
»Nein nein, Rees schläft. Ich hab gerade Harry gefüttert. Ich muss Kunst machen.« Seine Stimme klingt so erstickt, dass ich ihn kaum verstehen kann. Kunst? Dann geht mir auf, dass er kurz machen gesagt hat. »Tut mir leid, ich bin nicht allein. Es ist schwierig, aber ich muss einfach, ich muss es dir sagen. Es ist wegen Chloe, Laura. Sie ist verschwunden.«
»Was?«
»Sie ist weg. Wir hatten vorige Woche einen Streit, einen heftigen, deshalb hab ich mich nicht gemeldet, aber ich dachte, es wird sich geben, es wird schon werden. Ich hab mir zwar Sorgen gemacht, aber ich dachte, alles wäre in Ordnung. Sie wollte einen Spaziergang machen. Ich hab sie dazu ermuntert, zum Spazierengehen. Es hieß, es wäre gut für sie, so viel wie möglich an die frische Luft zu kommen, leichte körperliche Betätigung. Sie haben ihr Auto gefunden, auf dem Parkplatz.«
»David …«
»Die Handtasche war im Kofferraum. Mit allem drin: Portemonnaie, Handy. Auf dem Rücksitz lagen ein paar Bücher, die sie in die Bücherei zurückbringen wollte, das hat sie gesagt.«
»Und die Autoschlüssel?«
»Nein.«
»Dann …« Ich unterbreche mich. Ich wollte schon sagen, dann hatte sie bestimmt vor, zum Auto zurückzukommen. Wenn sie das nicht vorhatte, hätte sie dann die Schlüssel nicht stecken lassen oder in den Kofferraum getan? So machen die Leute es doch, oder?
»Ist die Polizei da, oder müssen erst vierundzwanzig Stunden vergangen sein oder irgend so was?«
»Nein, Toni war schon da, jetzt nicht mehr. Normalerweise muss man warten, aber unter den Umständen … Sie haben heute Abend eine Aussage von mir zu Protokoll genommen, aber ich war mit – ich bin eben erst dazu gekommen, dich anzurufen. Ich hab Harry gerade seinen Brei gegeben. Sie haben schon mit dem Arzt geredet, Laura. Was soll ich machen?«
»Ich komm
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