Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love
vorbei.«
»Nein«, mit scharfer Stimme. »Nein, bitte nicht, das wär keine gute Idee. Tut mir leid, ich musste nur unbedingt mit dir reden. O Gott, Laura, ich steh das nicht durch, nicht nach Betty. Ich kann’s einfach nicht. Ich weiß, ich hätte verständnisvoller sein und ihr mehr zuhören müssen. Ich hatte immer Angst um sie, Laura, schon von Anfang an. Warum sollte sie ihr Auto auf dem Parkplatz stehen lassen und nicht mal ihr Handy oder ihr Geld mitnehmen?« Ich höre, wie er mit sich ringt. »Ich hab sie angefleht, etwas zu nehmen, Laura, sich was verschreiben zu lassen, irgendwas, ich hab sie inständig gebeten, entweder das oder professionelle Hilfe, und ich bin verzweifelt, aber ich bin auch wütend, ich bin so dermaßen scheiß wütend!« Seine Stimme klingt rau, die Worte sind abgehackt, folgen kurz aufeinander. »Ich, Harry und Rees, zum Teufel, denkt sie denn nicht daran, dass wir schon genug durchgemacht haben? Tut mir leid. Du bist die Einzige, der ich das sagen kann. Ich will ja nicht gefühllos klingen, aber ich bin einfach so scheißwütend.« Er bedeckt die Sprechmuschel mit der Hand, und im Hintergrund sind gedämpfte Stimmen zu hören; dann ist er wieder da und sagt: »Sorry, es ist nach Mitternacht. Gott, wie unwichtig das ist. Hast du geschlafen?«
»Wer ist bei dir?«
»Ich wär untröstlich, wenn ich dich geweckt hätte.«
»Nein, Liebling, natürlich nicht. Natürlich hab ich nicht geschlafen.«
Am anderen Ende kommt langes Schweigen auf. Als er wieder spricht, klingt seine Stimme gefasster. »Ich muss auflegen.«
»Ich weiß, schon okay. Ich bin hier. Ruf mich an.«
»Mach ich. Tschüss.«
Sachte, ganz sachte lege ich auf.
Bei Tagesanbruch gehe ich aus dem Haus. Jetzt wird Rees bald heimkommen – darauf freue ich mich. Ich fahre durch die Stadt, die windgepeitschte Strandpromenade entlang. Die Läden sind noch geschlossen, und die Laternen brennen noch, werfen orangegelbe Lichtkegel in die graue Dämmerung. Das Meer tost unentwegt, weißer Schaum auf den Wellenkämmen. Leise rieselt etwas Eisregen. Ich biege zum Parkplatz am Fuß der Steilküste ab und fahre langsam vorbei, doch da stehen überhaupt keine Autos, und weder Anzeichen einer Absperrung noch sonst irgendwelche Hinweise auf polizeiliche Ermittlungen sind erkennbar. Über das Verkehrsleitsystem fahre ich in die Stadt zurück und hinaus auf die Hauptstraße, die zum Wohnwagencamp führt.
Ich stelle den Wagen auf dem kleinen Parkplatz mit dem gedrungenen, würfelförmigen Häuschen ab und steige den Grashang hinauf. Ich weiß nicht, was ich machen werde, wenn sie noch da sind, aber zutiefst in meinem Inneren weiß ich, dass das nicht der Fall sein wird. Und tatsächlich verhält es sich genau so, als ich den Hügelkamm erreiche: Die Autos sind fort, selbst die, die ich für Schrottkarren gehalten hatte. Die Wäscheleinen wurden abgenommen. Die Wohnwagen sind fest verschlossen, die Vorhänge zugezogen. Alles ist sauber und ordentlich. Die ganze Gruppe ist weg. Sie haben nicht auf mich oder die Polizei oder die Banden Jugendlicher in der Stadt mit ihren Pflastersteinen und Flaschen gewartet. Ich denke an die Frauen. Ich denke an die Lächelnde in der Lagerhalle, die den Reißverschluss so lässig in den Abfalleimer warf, einfach weitermachte und mit ihrer Freundin plauderte. Ich denke an die rundliche Großmutter auf den Klippen, so vieles in ihr Gesicht gemeißelt. Ich denke an die ernste Frau mittleren Alters, die mich beim Krematorium mit einem Blick ansah, der mir zu verstehen gab, dass sie bis in mein Innerstes sehen konnte. Ich denke nicht an Ahmetaj, den Neffen oder sonst einen von den Männern. Ich denke an die ernste Frau, wie sie wohl die Nachricht ihrer Abreise aufgenommen haben mag, wie sie sich darangemacht haben wird, mit flinken, geübten Bewegungen Kleider von der Wäscheleine zu ziehen, sie in einem Schwung zusammenzulegen, während sie hastig alles im Kopf durchging, was noch zu erledigen war.
Ich bleibe nicht länger. Ich weiß nicht, wer als Nächstes hier auftauchen wird. Jetzt kann ich nur noch nach Hause fahren und abwarten, bis es Zeit ist, David anzurufen.
Rees wird von Toni nach Hause gebracht. Er ist sehr aufgeregt, in einem Polizeiauto mitfahren zu dürfen. Nachdem er sich zehn Minuten lang äffchenartig an mich geklammert hat, reicht es ihm damit; er hüpft von meinem Arm, flitzt durchs ganze Haus von Zimmer zu Zimmer und ruft den Sachen darin etwas zu, wie er es immer gemacht hat, wenn
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