Was du liebst, gehört dir nicht - Doughty, L: Was du liebst, gehört dir nicht - Whatever You Love
durchsichtig, wenn sie sich erwärmt? Bin ich der einzige Mensch, dem das unheimlich ist?
Ich musste lachen, so auf allen vieren, über die Dummheit meines eigenen Benehmens und die Vorhersehbarkeit seiner Folgen. Genau in dem Moment kam David langsam die Treppe runter. Ich hockte mich auf die Fersen und schaute mit mattem Lächeln zu ihm hoch, als erwartete ich, dass auch er die Absurdität dessen erkannte, was da mit uns geschah. Er sah ausdruckslos auf mich herab. Ich war müde, zerknirscht und sah das Komische an der Situation – er war nur müde.
Und dann war da Betty, Betty und ihre bedingungslose Liebe. Ganz gleich, wie oft ich meine Beziehung mit David um- und umdeutete, Betty ließ sich nicht umdeuten. Sie verkörperte ihre eigene Geschichte. Chloe konnte ihr kein Härchen krümmen.
Mein Leben als Davids Frau war nur ein Bruchteil meines Lebens. Mein Leben als Bettys Mutter, sie und ich, wir beide zusammen, das war die Substanz, der Kern des Ganzen. Wir waren auf ein Meer hinausgefahren, an das ich mich von früher erinnerte: ineinander verschachtelte Papierboxen, Regenbogenstifte, eine rigorose Moral, gekoppelt an den Glauben, dass die Polizei dazu da war, ungezogene Kinder wie auch böse Erwachsene zu verhaften. Eines Nachmittags, als wir einkaufen gingen, ich Rees in seinem Buggy schob und Betty nebenhertrottete, kamen wir an einem Schutzmann vorbei, der uns zunickte. Ich lächelte zurück. Als wir außer Hörweite waren, schaute Betty über die Schulter zurück und erklärte mit einem Blick auf ihren kleinen Bruder: »Er schämt sich.«
Ich war so überrascht, dass ich anhielt und mir Rees anschaute, der dasaß und so wie immer, unerreichbar in Gedanken verloren, vor sich hin schaute. Ich ging weiter und sah Betty von der Seite an. Sie hatte eine selbstgefällige Miene aufgesetzt, und mir wurde klar, dass sie mit sich zufrieden war, weil sie das Wort benutzt, es angewendet hatte. Ob es passte oder nicht, spielte keine Rolle. Sie hatte es aufgeschnappt, in einem Buch oder von einer Erzieherin im Kindergarten, hatte erklärt bekommen, dass man es sagte, wenn jemand etwas Schlimmes gemacht hatte, und probierte es jetzt aus, um zu erfahren, was für ein Gefühl es war, wenn sie es gesagt hatte.
Ein andermal erklärte sie mir, als wir beide eines Sonntags zu Hause darauf warteten, dass Rees von seinem Mittagsschlaf aufwachte: »Mami, wenn wir Rees verlieren würden, dann würden wir schluchzen und schluchzen und schluchzen.«
Ich war so erschrocken, dass ich ausrief: »Sag so was nicht!«, doch sie malte unbekümmert weiter, was immer sie damals gerade angefangen hatte. Sie meinte nicht die reale Möglichkeit, dass Rees etwas zustoßen könnte, sondern experimentierte nur. Sie kannte das Wort »weinen«. Jetzt probierte sie »schluchzen« aus. Verlust war nichts weiter als ein Begriff, aber Wörter waren wie neue Finger, die ihr jeden Tag wuchsen. Man musste sie bewegen, um zu sehen, wie sie funktionierten.
Eines Morgens vor der Schule unterbrach sie mich unten an der Treppe beim Zuknöpfen ihres Mantels, schlang mir die Arme um den Hals, zog mich in einem ungünstigen Winkel zu sich herab und flüsterte mir stürmisch ins Ohr: »Ich hab dich zu doll lieb.«
»Ich hab dich auch zu doll lieb«, antwortete ich und hielt sie umarmt, kuschelig und versöhnt mit mir und der Welt. Selbst wenn ich wegen David am Boden zerstört war, und ganz besonders dann, fand ich Trost in Bettys greifbarer Gestalt, in ihrer fassbaren, anschmiegsamen Form; was für ein kompaktes kleines Persönchen sie doch war. Genau das liebte ich mehr als alles andere, und das konnte mir keiner je nehmen. Was war also schon dabei, wenn es mir nur gelungen war, mir David von sich selbst auszuborgen? Er hatte mir dies hinterlassen, und das würde noch viele Jahre immer so weitergehen, diese Umarmungen.
Rees war vierzehn Monate alt, ein rundes, tapsiges Baby, das alles anstieß und anstrahlte, was ihm über den Weg lief, wie ein winziger Stummfilmkomödiant, als David eines Abends zu mir kam, während ich vor dem Fernseher saß. Unsere Tochter, unser großes Mädchen Betty, ging in die erste Klasse. Sie und Willow waren schon beste Freundinnen. Ein Mädchen, das Ariana hieß, machte ihnen etwas Ärger, versuchte sich zwischen sie zu drängen. Wir hatten gerade den Flur streichen lassen, damit er heller wirkte, und wollten das billige Milchglas in der Tür austauschen, konnten uns das aber nicht leisten.
Die Kinder schliefen oben. Sie
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