Was du nicht weißt: Roman (German Edition)
Mordfall zu tun hatte.
Nachdem sie das Gespräch beendet hatte, war sie unschlüssig, was sie tun sollte. Der Fall Debbie Farrow musste ruhen, bis Helen sich gemeldet hatte. Der Haushalt wartete. Sie sah sich um. Küche oder Garten? Genau das hasste sie an ihrem unfreiwilligen Singledasein – die lästige Freiheit, dass es keinen geliebten Menschen mehr gab, für den sie etwas tun musste. Jonathan, ihr Sohn, der als Arzt in London lebte, zog sie deswegen immer auf. Aber was wusste er schon von den Niederlagen seiner Mutter?
Plötzlich war ihr nach Ablenkung zumute. Mit der Fernbedienung stellte sie den CD-Player auf volle Lautstärke. Laut röhrte ein alter Titel von Genesis durch das Haus, eine Gruppe, die sie immer schon geliebt hatte.
Mitten in den Lärm hinein klingelte es an der Haustür. Schnell schlüpfte Emily wieder in ihre Schuhe, stellte die Musik leiser und ging öffnen.
Vor ihr stand eine hübsche junge Frau mit langen braunen Haaren. In den Händen hielt sie einen Rucksack und eine Reisetasche, wie jemand, der sich noch unsicher fühlt und sich nicht traut, sein Gepäck voreilig abzusetzen.
»Hallo, Mrs. Bloom«, sagte das Mädchen und lächelte schüchtern. »Könnte ich bis heute Abend bei Ihnen Asyl bekommen?«
»Mein Gott, Constance!«, rief Emily überrascht aus.
Während sie noch schnell ihre Kopfhörer von den Ohren nahm, hetzte Constable Officer Sandra Querée auf das Rathaus zu. Über dem Eingang stand in weißen Lettern Salle Paroissiale de Saint Brelade. Das historische Gebäude lag an einem kleinen Platz direkt am Hafen von St. Aubin, dunkelrot angestrichen, flankiert von zwei symmetrischen cremefarbenen Anbauten, in denen auf einer Seite die Honorary Police untergebracht war und auf der anderen das Büro des connétable, des Bürgermeisters. Dazwischen, unter der gewaltigen Uhr, erstreckte sich ein blumengeschmückter Balkon.
»Ach, Miss Querée!«
Es war Isabel. Sie stand mit einer Gießkanne in der Hand auf Zehenspitzen, um die Blumenpracht in allen vier Hängekörben zu gießen. Ihr verkniffenes Gesicht verriet Sandra, dass der neuen Hospitantin diese Tätigkeit nicht gerade Vergnügen bereitete. Typisch Conway, dachte Sandra amüsiert, damit macht er sie erstmal geschmeidig für härtere Aufgaben.
Sie ging ein paar Schritte auf Isabel zu.
»Ja?«
»Mr. Conway lässt Ihnen sagen, er hat schon mal angefangen. Sie sollen gleich dazukommen.«
»Danke, Isabel.«
Sandra merkte, wie Isabel ihr kritisch nachblickte, während sie in das Gebäude ging.
Schon auf dem Flur, in der Ecke, wo man die Präventionsplakate der Polizei aufgehängt hatte, hörte sie Conways kräftige Stimme. Offenbar war er gewaltig in Fahrt.
»… und nur deshalb hat man Frank Guiton wieder laufen lassen! Nur deshalb …!«
Leise ging Sandra hinein. Augenblicklich umfing sie wieder die schlichte, nüchterne Atmosphäre dieses stets aufgeräumten Büros. Es erinnerte jeden Besucher daran, mit wie wenigen Mitteln die polizeiliche Selbstverwaltung der kleinen Inselgemeinde auskommen musste. Nur das Notwendigste war vorhanden. Die meisten der altgedienten Möbel waren aus heller Eiche, auch der bescheidene Schreibtisch, hinter dem Conway saß. Er hätte einen nobleren Rahmen für seine engagierte Arbeit verdient, fand sie.
»Nehmen Sie Platz, Sandra. Wir sprechen gerade über den Fall Guiton.«
Sie nickte stumm in die Runde und setzte sich neben ihren Kollegen Leo Harkins. Harkins galt als der Schweigsamste von ihnen. Sein lauter Gegenpol, der bullige Roger Ellwyn, lehnte lässig neben der Tür an der Wand, den Kopf so dicht an der Wandlampe, dass es aussah, als würde er sich jeden Moment die borstigen Haare daran versengen. Jetzt war das kleine Team der Honorary Police von St. Aubin vollzählig.
»Wir haben also Guiton wieder zurück«, fuhr Conway in gereiztem Ton fort. »Und auch wenn er nicht der Mörder ist, bleibt immer noch der Verdacht, dass er seine Versicherung betrügen wollte.«
Roger Ellwyn konnte sich nicht verkneifen, auf Conways eigene Rolle bei Guitons Freilassung anzuspielen. »Also am Ende doch eins zu null für Jane Waterhouse?«, fragte er grinsend. »Die ist ihn los, und wir machen den Rest?«
Conway sah ihn mit strafendem Blick an. »Es geht hier nicht um ein persönliches Kräftemessen mit den Kollegen in St. Helier, sondern es geht um Objektivität. Und Guiton hatte nun mal ein Alibi vorzuweisen, ganz gleich, ob mir das gepasst hat oder nicht.«
Ellwyn schluckte seine Antwort
Weitere Kostenlose Bücher