Was du nicht weißt: Roman (German Edition)
und finde ihn nicht.«
»Und was habe ich damit zu tun?«, fragte Emily.
»Du musst ihn finden.«
Emily seufzte. Das hätte sie sich denken können. Seit sie ihrer Freundin unvorsichtigerweise verraten hatte, dass es ihr manchmal gelang, mithilfe ihres Gedächtnisses die Wege verschwundener Gegenstände in ihrem Haus zu rekonstruieren, hatte sie das Gleiche schon zweimal bei Helen versuchen müssen.
»Und wieso, bitte, soll ich deinen Pass gesehen haben?«, fragte sie betont unfreundlich.
»Als du am Sonntag bei mir warst, habe ich dir einen kleinen blauen Karton voller Urlaubsfotos gezeigt. Und genau darin war auch mein Pass.«
»Ein toller Platz«, kommentierte Emily sarkastisch. Sie sah die blaue Schachtel wieder vor sich. Sie lag auf Helens Wohnzimmertisch neben einem Reiseprospekt über Spanien.
In ihrem Bedürfnis, Emily mit Stichworten weiterzuhelfen, sprudelte Helen unentwegt weiter. Sie wirkte ungewohnt hektisch.
»Du erinnerst dich? Wir haben erst die kleine Tarte gegessen, dann habe ich dir die Fotos von meiner Reise gezeigt, und du wolltest den Spanien-Prospekt sehen …«
»Könntest du mal die Klappe halten?«, fuhr Emily in strengem Ton dazwischen. Sie schloss die Augen und blätterte in ihrer Erinnerung die einzelnen Szenen durch.
Als Helen den Tisch abgeräumt hatte, war die blaue Schachtel auf dem Sofa gelandet. Danach hatte es geklingelt, und Helen war mit dem Gärtner eines wichtigen Kunden hereingekommen. Er hatte sich für ein paar Minuten auf das Sofa gesetzt und eine Rechnung bezahlt. Mit großen Scheinen.
Die blaue Schachtel lag jetzt auf der Anrichte. Nachdem der Gärtner gegangen war, hatte Helen sie genommen und in einen Korb mit schmutziger Wäsche geworfen, da beides in den Keller sollte …
Emily ließ ihr Gedächtnis wieder anhalten.
»Wenn mich nicht alles täuscht, liegt die Schachtel in einem Wäschekorb mit schmutzigen Overalls«, sagte sie. »Du kannst ja mal nachsehen, wenn du schon im Keller bist.«
»Oh nein!«, rief Helen erschrocken. »Gerade hab ich den Stapel in die Waschmaschine gestopft und wollte sie anstellen! Warte mal!«
Emily hörte ein Durcheinander von Geräuschen, dann folgte ein Jubelschrei. Kurz darauf war Helen wieder am Hörer.
»Du bist ein Schatz! Sie war tatsächlich da drin! Tausend, tausend Dank, Emily! Wie machst du das nur?«
»Kein Kommentar«, sagte Emily. »Und wenn dir wieder mal jemand so viel Geld ins Haus bringt, solltest du dir endlich ein richtiges Fotoalbum leisten.«
»Ich wünschte, Alex Flair würde seinen Gärtner öfter zu mir schicken«, kicherte Helen. »Aber was soll’s – ich hab ja jetzt Alfred!«
Nachdem Emily aufgelegt hatte und wieder Ruhe in ihr Gehirn eingekehrt war, blieb sie noch einen Moment nachdenklich sitzen.
Alex Flair – der Name elektrisierte sie.
Gerade hatte sie in der Zeitung gelesen, dass Alex Flair heute seinen Privatpark der Öffentlichkeit vorstellte. Vermutlich hatte Helen deshalb so viel mit seinem Gärtner zu tun.
Auch Alex war ein Freund Richard Blooms gewesen. Und als wohlhabender Geschäftsmann war er durch seine erstklassigen Verbindungen und durch die Jagd immer eng mit Trevor de Sagan verbunden gewesen.
Emily erinnerte sich, dass es vor vielen Jahren einen Anlass gegeben hatte, bei dem Trevor und Alex etwas Provozierendes gesagt hatten. Es hatte Streit darüber gegeben, auch zwischen ihr und ihrem Mann.
Vergeblich versuchte sie, sich wieder daran zu erinnern. Diesmal versagte ihre Kraft. Sosehr sie es auch versuchte, ihr Gedächtnis streikte.
Trevor, Alex, Richard … Sie kam nicht weiter. Dabei war es etwas sehr Wichtiges, das fühlte sie.
Der Gedankenpfad zu Alex Flair war blockiert. Es war eine Katastrophe.
Wie jedes Jahr erwarteten alle mit Spannung den Beginn des jährlichen Blumenfestivals. Auch die zwei grausigen Morde konnten zum Glück nicht verhindern, dass sich heute die Tore der öffentlichen Parks öffneten, um den staunenden Besuchern farbenprächtige Symphonien aus heimischen und exotischen Pflanzen zu präsentieren. Es waren nur Könner am Werk. Ob im Howard Davies Park , im Millbrook Park , im Jardin de la Mer – überall zeigte sich der Stolz der Gärtner. Und keiner konnte sagen, dass die Blumeninsel Jersey jemals diese Tradition vergessen hätte.
Auch ein paar schöne Privatgärten standen den Besuchern offen, darunter zum ersten Mal ein parkähnliches Anwesen in St. Lawrence. Jeder in der Gegend wusste, wem die goldgelbe Villa und der Garten gehörten.
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