Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Titel: Was es heißt, in den Krieg zu ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Marlantes
Vom Netzwerk:
nicht heißt, dass sie irrational handeln würden.
    Im Falle eines selbstmörderischen Gegners gibt es ein weiteres Problem. Zu entscheiden, wann jemand Waites Diktum durchbrochen hat (Gewalt ist keine Lösung) und die Antwort des Kriegers erfolgen soll, ist kaum je völlig klar zu sagen. Die Geschichte liefert uns nur selten ein eindeutiges Szenario, was die moralische Entscheidung erschwert – aber auch heißt, dass das Leid noch nicht zu groß ist. Zudem fällen wir das Urteil darüber, wann wir in den Kriegsmodus schalten und Gewalt anwenden, so gut wie immer mit eingeschränkten Informationen und unter extremen Zwängen, also während unser Lebensrettungsinstinkt mit Macht in den Vordergrund drängt und unser geschwächtes Bewusstsein zu unterdrücken droht.
    Ist die Entscheidung jedoch einmal gefallen, unsere Krieger den Weg der Gewalt nehmen zu lassen, sollten wir die moralische Selbstbeschränkung überwinden, auf den nächsten Schritt des Gegners zu warten. Dann sollten wir uns völlig in die Offensive begeben,
»taking the aggressive«,
wie Robert E. Lee am 8 . Juni 1963 in einer Depesche an den Kriegsminister schrieb: aggressiv gegen den Gegner vorgehen. Der Krieger sollte sich nur dann zurückhalten, offensive Operationen sollten erst dann gestoppt werden, wenn die andere Seite ihre Kampfhandlungen einstellt. Punktum. Der Krieger hört erst dann auf zu kämpfen, wenn die andere Seite aufgibt. Unsicher mit dem Diktum des Kriegers umzugehen, kann uns in moralische Schwierigkeiten mit unseren Erstschlagsregeln bringen. Unsicher in unserer Offensivhaltung zu sein, hat uns seit dem Zweiten Weltkrieg viel zu oft in Auseinandersetzungen verwickelt, die der Erkenntnis entsprechen, dass »sanfte Chirurgen stinkende Wunden produzieren«. So hat in Vietnam die Strategie der schrittweisen Eskalation nicht funktioniert. Nur weil man die Spieltheorie auf den Krieg anwenden kann, ist der Krieg noch lange kein Spiel.
    Wenn wir unfähig sind, uns einem Gegner klar entgegenzustellen, wenn wir unfähig sind, alle uns zur Verfügung stehenden Mittel der Gewalt einzusetzen, um den Gegner dazu zu zwingen, seine Gewalt gegen uns einzustellen, sollten wir nicht in den Krieg ziehen. Dann sollten wir andere Mittel wählen, um die Leute dazu zu ermutigen oder zu zwingen, sich unserem Willen zu beugen. So hat die Weltgemeinschaft durch großen Druck, aber ohne militärische Gewalt dabei geholfen, die Apartheid in Südafrika zu beenden.
    Zuletzt gibt es noch das echte Problem, dass die Leute, von denen die Entscheidung getroffen wird, unsere Soldaten in den Krieg zu schicken, sich oft selbst nicht bewusst in den Krieger-Modus begeben. Es ist so, als entschieden sie, jemand anderen in den Krieg zu verwickeln, dabei schicken sie unsere Jugend in die Schlacht! Ich bezweifle nicht, dass der Großteil unserer Politiker seine Verantwortung sehr ernst nimmt, aber erst wenn sie begreifen, dass sie selbst es sind, die töten, können sie ihre Entscheidungen bewusster treffen. Idealerweise sollten sie vorher wissen, wegen
ihres
Tötens für den Rest ihres Lebens von Albträumen heimgesucht werden zu können. Dann würden bessere Entscheidungen gefällt.
    Ich habe oft Leute beklagen hören, und ihnen zugestimmt, dass unsere politischen Führer, wenn sie jemandem den Krieg erklären, nicht wie früher die Stammesfürsten auf ihre Pferde steigen, die Schwerter ziehen und unsere Krieger anführen. Diese Rolle ist veraltet, denn die modernen Kriegsherren müssen sich genauso um das Wirtschaftliche, Politische und Diplomatische wie das Militärische kümmern, und das können sie nicht vom Rücken eines Pferdes aus. Dennoch sollte ihre Entfernung von den tatsächlichen Kampfhandlungen unsere Politiker nicht davon abhalten, ihre Vorstellungskraft zu gebrauchen, um so ein Verhältnis zu ihrer Entscheidung zu entwicklen. Ohne diese Vorstellungsleistung sind moderne politische Führer nicht darauf vorbereitet, wie ethische Krieger zu denken und zu handeln.
    Bei ihrer Entscheidung für den Krieg müssen Politiker aufhören, sich als bloße Politikmacher zu sehen, sie müssen sich vielmehr fragen, ob sie selbst in den Krieger-Modus eintreten wollen oder nicht. Dazu müssen sie zuerst einmal eine Seite wählen. Das ist oder sollte für gute Entscheidungsträger in der Politik kein Problem sein. Problematischer ist der nächste Schritt. Menschen mit Marines zu töten, ist ethisch gesehen nichts anderes, als sie mit der Streitaxt zu töten. Nur die

Weitere Kostenlose Bücher