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Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Titel: Was es heißt, in den Krieg zu ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Marlantes
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brennenden Phosphorfetzen vor mir, die sich mit hellweißen Rauchbogen unter dem Feind verteilten. An den brennenden Phosphor auf ihrer Haut dachte ich nicht.
    Fast sofort darauf brachen die beiden Jets, über Funk von meinem Piloten und dem hellweißen Phosphorrauch geführt, durch die mittelhohe Bewölkung und waren über den jetzt davonlaufenden Soldaten der NVA . Beim ersten Durchflug warfen sie ihre Snakes und rissen direkt unter der Anhöhe unseres Teams weite, offene Flächen in den Dschungel. Ich konnte sehen, wie die Explosionen die Bäume in konzentrischen Wellen schüttelten, als hätte jemand einen riesigen Felsen in einen dunkelgrünen Teich geworfen. Anschließend dirigierten wir die Flugzeuge ein zweites Mal heran, und sie warfen ihr Napalm ab und steckten alles in Brand.
    In den rauchenden Schneisen konnte ich die verkohlten, brennenden Körper der NVA -Soldaten sehen, tot oder sterbend. Einige versuchten, in den Schutz des nicht weggesprengten Dschungels zu kriechen. Rauch stieg von ihren Kleidern und ihrer Haut auf.
    Was ich fühlte? Ich war erleichtert! Ich schrie dem Team zu: »Der Hang liegt voller Crispy Critters!« Crispy Critters waren beliebte Frühstücksflocken.
    Wäre ich damals schon der Mensch gewesen, der ich heute bin, hätte ich anders empfunden. Ich wäre nicht erleichtert gewesen. Aber ich war noch wie der Bataillonsstab, der unsere Eroberung der Anhöhe bejubelt hatte. Ich identifizierte mich mit dem Spähtrupp, dessen Leben auf Messers Schneide gestanden hatte. Psychologisch war ich Teil der bedrohten Gruppe geworden, und der vorrückende Feind hatte alles Menschliche verloren. Ich tötete keine Menschen, Söhne, Brüder, Väter, sondern »Crispy Critters«. Es hätten auch Krauts (Deutsche), Nips (Japaner), Huns (Deutsche), Gooks (Koreaner), Ungläubige, Towel-Heads (Muslime), Imperialistenschweine, Yankee-Schweine oder Chauvinistenschweine sein können. Die Liste ließe sich fast beliebig verlängern. Die Herauslösung des Feindes aus der Menschheit, um nichts anderes geht es, ist eine Pseudoartenbildung. Man macht aus dem Gegenüber eine karikierte, nicht existierende Spezies, und dadurch wird es leichter, ihn zu töten. Das Touchdown-Gefühl verbindet sich dann mit der Herauslösung des Gegners aus der Menschheit.
    Wir ließen die Jets noch einen weiteren Snake-&-Nape-Anflug vornehmen, der kaum mehr nötig war. Die NVA schoss zwar noch aus dem Schutz des umliegenden Dschungels auf die Flugzeuge, die Anhöhe und unser Team ließ sie jedoch in Ruhe. Die ersten beiden A- 4 kehrten zur Basis zurück, und es kamen zwei neue, die wir in Wartestellung hielten, bis ein sehr mutiger Hubschrauberpilot der MAG - 29 auf der Anhöhe landete. [9] Wir schafften es alle aus der Kampfzone und waren begeistert darüber.
    Das bin ich noch heute. Bin ich das aus einer Art von verderbter Sittenlosigkeit heraus? Weil ich als Kind verbildet wurde? Ich weiß es nicht. Vielleicht bin ich einfach so strukturiert. Ich spüre noch die Erregung damals, während ich diese Zeilen schreibe. Wie sehr ich darin anderen ähnele, kann ich nicht sagen. Nur wenige waren je in einer ähnlichen Lage. Wobei ich denke, dass ich mich so sehr nicht von anderen Leuten unterscheide. Nein, ich habe mich damals wegen der Geschehnisse nicht krank und schrecklich gefühlt. Schließlich hatte ich erfolgreich dabei mitgeholfen, ein paar Kameraden von den Marines zu retten.
    Und was fühle ich heute? Einerseits kann ich immer noch die Erregung genießen – ja, es ist ein Genuss. Milliarden Dollar werden damit in der Unterhaltungsindustrie gemacht. Aber ich kann auch mein Gewissen zu diesem lange zurückliegenden Geschehen befragen, und dann staune ich, wie viele Gefühle in mir verborgen sind, die diese Erregung überlagern, ja verneinen lässt.
    Das ist vor allem eine Frage der Identität und des Alters. Ich sehe heute neben den Kameraden auch den Feind, und dieser »Feind« besteht für mich aus Menschen, sodass es mir schwerfällt, darüber zu frohlocken, dass wir ihn umgebracht haben. Ich bin mir bewusst, was es diese NVA -Soldaten und unser Team tatsächlich gekostet hat, mir dieses Gefühl von Erregung und Glück möglich zu machen.
    Ich würde immer noch das Gleiche tun, wäre mir aber eines schrecklichen Dilemmas bewusst. Den Einsatz von Napalm würde ich heute ablehnen, nachdem ich weiß, dass wir unser Ziel auch auf humanere Weise mit normalen Bomben erreichen können. Aber herbeigerufene Kampfjets gehen mit dem in

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