Was es heißt, in den Krieg zu ziehen
kalt für Südkalifornien, kalt und nass. Sechs Monate Trockenheit waren gerade vom ersten Pazifiksturm beendet worden, die Surfer erzählten von sieben, acht Meter hohen Wellen. Wir trafen uns in der alten Mission von Santa Inez.
Mein Freund Bruder Mark, ein Kapuziner, hatte am Abend vorher mit einer Freundin, einer ehemaligen Nonne, die rituellen Werkzeuge bereitgelegt und überall Kerzen aufgestellt. Die alte Mission schimmerte in ihrem Glanz. Vor dem Altar stand eine einzelne große Osterkerze, das Zeichen des wiederauferstandenen Jesus Christus, und darüber hinaus verkörperte sie zwanzigtausend Jahre gemeinsamer Vorfahren, war die Kraft des Phallus, der aus der Erde aufwuchs. Ich selbst hatte den Abend damit verbracht, aufzuschreiben, was ich, ohne die Möglichkeit dazu zu bekommen, meinen im Vietnamkrieg getöteten Freunden immer schon hatte sagen wollen.
Bruder Mark war in vollem Ornat. »Wenn wir es tun, Karl, tun wir es mit aller Kraft und zweitausend Jahren Tradition im Rücken.«
Es war eine Messe für die Toten.
Ich gab Bruder Mark mein Tagebuch, das alte Ding, das ich in Vietnam ständig bei mir getragen hatte. Es war mit mir auf jedem gottverlassenen Gipfel der Berge im Norden gewesen, in jedem Gefecht. Ich hatte es bei mir, als Isle starb und als Utter starb. Und als ich zu sterben glaubte. Ich hatte es auf dem Lazarettschiff
Repose
dabei und als ich sturzbetrunken in der Vandegrift Combat Base gesessen hatte. Mit dazu gehörte ein kleines grünes Notizbuch mit Rettungshubschraubernummern, Urlaubsdaten der Jungs aus dem Zug, Notizen zu einer Nachricht des Roten Kreuzes, doch mit den drei Kids zu reden, die während der letzten zwei Monate nicht nach Hause geschrieben hatten und deren Mütter wissen wollten, ob alles in Ordnung sei, hastig gezeichneten Verteidigungsplänen, Erdlochformationen, Maschinengewehrstellungen, möglichen Angriffsrichtungen der NVA . Patrouillen-Checkpoints standen darin und die täglichen Kurzcodes, um die Positionen durchzugeben. »Zigaretten bei 7530 . NFL -Stars bei 8131 .« Ich konnte über Funk durchgeben, dass wir »von Pall Mall 11 hoch und 5 rechts« waren oder »von Hornung 3 runter und 7 rechts«, und der Chef wusste, wo wir uns befanden, sodass wir Feuer und Tod auf andere niederregnen lassen konnten, ohne uns selbst zu treffen.
Bruder Mark legte die Bücher auf den Altar neben Wein, Wasser und Brot.
»Bist du so weit?«
Ich nickte.
Er gab mir einen silbernen Löffel, und ich streute Weihrauch über die glühende Holzkohle im Räuchergefäß, nahm es und schwenkte es. Bruder Mark verspritzte Weihwasser, und wir gingen gemeinsam zu der großen Eichentür am Ende des Ganges. Bruder Mark schloss auf, ich stieß die Flügeltüren auf.
»Willkommen, ihr Freunde Karls. Willkommen, ihr ehemaligen Feinde. Wir begrüßen euch. Kommt herein.«
Ich spürte, wie sie hereindrängten. Sie hatten geduldig draußen gewartet, wo sie sich auf den trockenen, mit grünen Eichen gesprenkelten Grashügeln versammelt und gewartet hatten. Sie warteten schon seit einem Vierteljahrhundert.
Und füllten jetzt die Kirche. Meine toten Freunde. Kids, die gestorben waren, bevor ich mir ihre Namen hatte merken können. Nordvietnamesische Soldaten, die ich getötet hatte, und jene, die meine Freunde getötet hatten. Schatten und Geistererscheinungen, die mit uns allen verbunden waren und uns miteinander verbanden. Ich hatte einen Offizier eingeladen, den ich einfach nur gehasst hatte. Es war nicht leicht gewesen. Ehrlich gesagt hatte es eine Zeit gegeben, in der wollte ich ihn umbringen. Ein Freund hielt mich ab, brachte mich zurück in den normalen Wahnsinn des Krieges. Ich wusste, ohne seine Vergebung würde auch ich keine Vergebung finden. Aber ich wusste auch, dass er genauso wenig von mir gehalten hatte.
Schließlich kamen meine Großeltern herein und setzten sich in die erste Bank.
Wir begannen die Messe. Etwa nach der Hälfte unterbrach ich Bruder Mark.
»Was ist?«, fragte er.
»Sie sind aufgestanden und haben die Gänge überquert. Sie umarmen einander und schütteln sich die Hände.«
Wir warteten fünf Minuten, bis alle wieder auf ihren Plätzen saßen.
Ich las ihnen vor, was ich am Abend zuvor aufgeschrieben hatte: »Andersen, alle Sergeants dachten, Sie seien ein Schisser. Vielleicht auch Sie selbst. Aber auf dem Helicopter Hill haben Sie alles gegeben, auch Ihr Leben, vielleicht, um zu beweisen, dass Sie kein Schisser waren. Für mich sind Sie absolut keiner.
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