Was es heißt, in den Krieg zu ziehen
sollten gruppenweise verabschiedet werden, wenn möglich zusammen mit den Kameraden, mit denen sie gekämpft haben, und zwar nach rituellen Zeremonien und Beratungen.
So sollte es eine zeremonielle Waffenübergabe geben. Ich habe eine sehr starke körperliche Erinnerung daran, wie der Griffschutz meines M 16 in meiner linken Hand lag, weit, kufenförmig, kühl, aus körnigem Plastik. Eine ähnlich starke körperliche Erinnerung habe ich daran, wie es war, meine kleinen Kinder auf dem Arm zu tragen und ihre Windeln durch den Stoff ihrer Strampelhose zu fühlen. Was ich sagen will, ist, dass ich emotional sehr stark mit meiner Waffe verbunden war.
Am wichtigsten ist, dass die Zeremonien und Beratungen den heimkehrenden Veteranen dabei helfen, vom Unendlichen zurück ins Endliche zu finden. Ich muss an den Beginn einer Kurzgeschichte von Tim O’Brien denken: »Der Krieg war vorüber, und Norman Bowker wusste nicht, wohin er sollte.« [76] Es ist die Geschichte eines Veteranen, der über das sprechen will, was er erlebt hat, es aber nicht kann. Schließlich fährt er ziel- und endlos mit einem Auto um den kleinen See einer kleinen Stadt in Iowa. Am Ende der Geschichte schreibt der Autor in einer Anmerkung – ob sie wahr oder erfunden ist, kann ich nicht sagen –, dass es sich bei dem Helden der Geschichte um seinen Freund Norman Bowker handelt, der sich etwa acht Jahre nach seiner Rückkehr aus Vietnam ohne weitere Erklärung nach einem Basketballspiel in einer Umkleidekabine aufgehängt hat.
Veteranen brauchen einen Ort, der die große Leere in ihnen auffüllen kann, und das kann nicht der Basketballverein, der Videoladen oder die örtliche Kneipe sein. Eine erste Leere stellt sich durch die Freunde ein, die er nicht mehr sieht, seine Einheit. Einige sind tot, weg sind sie jedoch alle. Ein ähnliches Gefühl von Nähe wie in der Einheit wiederzugewinnen, würde erfordern, mit einer anderen Gruppe eine ähnliche Erfahrung durchzumachen. Das würden die wenigsten Veteranen wollen.
Der große Autor Norman Maclean schreibt über diese Sehnsucht in einer Geschichte über eine Mannschaft des U.S. Forest Service in Montana nach dem Ersten Weltkrieg. Die Mannschaft hatte beschlossen, in die Stadt zu fahren und sich an ein paar Kartenhaien zu rächen, die einen von ihnen betrogen hatten. »Und am Ende taten wir uns zusammen, um die Stadt aufzuräumen – wahrscheinlich auch etwas, was getan werden musste, um uns zu einer Mannschaft zu machen. Für die meisten von uns war die Mannschaft, diese gesellschaftliche Einheit auf Zeit, die einzige Gruppe, der wir je angehört hatten, obwohl es irgendwie für länger gewesen sein muss als nur für die Zeit eines Augenblicks. Denn mehr als ein halbes Jahrhundert danach bin ich hier, um davon zu erzählen.« [77]
Die nächste Leere ist die Leere des Alltags. Etwa fünf Jahre nach meiner Rückkehr aus Vietnam stand ich im Souterrain unseres renovierungsbedürftigen neuen Hauses, riss Wände ein und erneuerte die Strom- und Wasserleitungen. Während einer Pause, um ein Sandwich zu essen, las ich träge in der Zeitung, die auf dem Boden neben mir lag. Die Federal Reserve tat dies, die Wirtschaft erwartete das, jemand in New York wurde wegen etwas geehrt. Das Gewöhnliche. Es war durchaus unterhaltend. Ich wollte die Zeitung gerade wieder zur Seite legen, als ich das Datum sah: 1926 .
Ich war sprachlos. Was ich gelesen hatte, war fünfzig Jahre alt, und es war mir nicht aufgefallen. Offenbar hatte die Zeitung in der Wand gesteckt, die ich aufgerissen hatte. Dann musste ich lachen, über mich und die ganze Situation. Plötzlich kam mir alles so belanglos vor. Dass ich dieses alte Haus wieder in Schuss bringen wollte, mein Job, die Nachrichten, meine Ehe, die Geschichte. Alles. Da saß ich also, im Souterrain unseres neuen, renovierungsbedürftigen Hauses, und »wusste nicht, wohin ich sollte«. Nichts, absolut gar nichts, schien mit der Intensität des Krieges und der in ihm gemachten Freundschaften konkurrieren zu können. Ich fühlte mich vollkommen leer und überlegte, ob ich nach Chicago fliegen und einen alten Freund von den Marines besuchen sollte. Wir hätten gemeinsam in den Drogenhandel mit Südamerika einsteigen können. Oder etwas in der Art. Zum Teufel mit allem! Aber ich war verheiratet, wir wollten Kinder und brauchten ein Haus. Ich nahm die Brechstange und machte mich wieder an die Arbeit, während sich ziemlich genau zu der Zeit Norman Bowker das Leben nahm. Wie so
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