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Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Was es heißt, in den Krieg zu ziehen

Titel: Was es heißt, in den Krieg zu ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Marlantes
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das dunkle Grün der Tannen verschwamm zusehends, und hinter der dritten Erhebung löste es sich in ein flächiges Grau auf.
    Ich war mit Moose zusammen, meinem besten Freund, und unsere Aufgabe bestand darin, innerhalb der nächsten zwei Tage zu einem Treffpunkt zu finden. Waren wir Samstagabend zum Essen noch nicht da, würden uns unsere Dads suchen kommen. Die Leute damals machten sich noch keine großen Gedanken wegen möglicher Haftungsklagen, und wir Kinder hatten eine Menge mehr Freiheit als heute.
    Kurz nachdem Moose und ich in die erste tiefe Schlucht hinuntergestiegen waren, fing es richtig zu regnen an. Heftig. Da wir uns nicht nach der Sonne richten konnten, mussten wir uns am Gelände orientieren und folgten Bächen bergauf und bergab. Das hielt uns auf. Wir waren völlig durchnässt und trugen Wollsachen, die zwar nicht bequem waren, uns aber doch zumindest vor Unterkühlung schützten. Nach vielen Stunden unguter Abenteuer und einiger angstvoller Momente schliefen Moose und ich die erste Nacht in einer Erdhöhle, die wir in einen Hang gebuddelt hatten, mit Gräben rundherum, damit kein Wasser hineinfloss. Eng aneinandergedrängt, um es wärmer zu haben, lagen wir auf Tannenzweigen, die wir über die lehmige Erde gebreitet hatten.
    Spät am nächsten Nachmittag fanden wir endlich unseren Zielpunkt, einen See mit ein paar wackeligen Verschlägen am Ufer. Dort trafen wir auf unsere drei Betreuer mit warmen Schlafsäcken und trockener Kleidung, die wahrscheinlich etwas nervös auf uns gewartet hatten.
    Wir schafften es alle, und wir waren stolz darauf.
    An jenem Abend hatte ich ein wichtiges Erlebnis. Die drei Pfadfinderführer, alles Männer Ende dreißig, Anfang vierzig, saßen ums Lagerfeuer und unterhielten sich. Alle anderen waren längst erschöpft schlafen gegangen, aber Moose und mir war noch nicht danach, und so saßen wir bei den Männern am Feuer und hofften, wenn wir uns ruhig verhielten, würde keiner was dagegen einzuwenden haben. Sie redeten über den »Krieg«. Das war in jenen Tagen der Zweite Weltkrieg.
    Wir saßen ganz still da und rechneten halb mit einem Blick, der uns zurück in unsere Kinderwelt schicken würde. Ich weiß noch, wie Joe eine Pause machte und uns ansah. Die anderen beiden folgten seinem Blick. Ed arbeitete bei der Eisenbahn, und Jens kümmerte sich um das schwere Gerät einer anderen Holzfirma. Das Feuer erleuchtete ihre Gesichter vor der tropfnassen Schwärze des Waldes. Nebel senkte sich auf uns herab, ohne der Kraft des Feuers etwas anhaben zu können. Wir bewunderten diese Männer. Sie opferten uns eine Menge Zeit, was uns bewusst war. Sie brachten uns vieles bei und ließen uns verrückte Dinge tun, zum Beispiel, orientierungslos durch den Wald zu irren. Wobei wir immer wussten, so viel Angst wir auch haben mochten, wenn wir uns ernsthaft verirrten, würden sie uns finden.
    Würden sie aufhören, über den Krieg zu reden? Würden sie uns in unseren Schuppen schicken? Joe sah uns nur an, vielleicht vier, fünf Sekunden lang, dann erzählte er weiter. Uns wurde erlaubt, einen Blick in den Club zu werfen.
    Joes Geschichte handelte vom D-Day in der Normandie, der Landung der Alliierten am Omaha Beach. Andere Geschichten folgten. Ed hatte mit der Navy am Krieg im Pazifik teilgenommen. Er erzählte vom Phosphorglühen im Kielwasser eines Zerstörers. Jens hatte in Nordafrika und Deutschland gekämpft. Niemand redete von Helden- oder Schandtaten. Sie erzählten witzige Geschichten über militärische Pannen und Etappenhengste, und es gab auch ein paar kurze Skizzen der Angst und des Schreckens. Ich erinnere mich kaum noch an Einzelheiten. Die drei waren normale Männer, normale Seeleute und Soldaten gewesen. Moose und ich wussten das. Da machte keiner dem anderen etwas vor. Trotzdem waren sie Helden für uns. Sie hatten es
miterlebt.
Wie hatte es sich wohl angefühlt?
    Moose und ich sagten kein Wort. Das Feuer ging aus, und die Geschichten fanden ein Ende. Ich wollte nicht, dass sie aufhörten. Ich erinnere mich an das Gefühl, mit »dabei« zu sein, und wollte nicht, dass es vorbeiging.
    Mein eigener Vater war LKW -Fahrer der 3 . Armee gewesen und hatte Pattons Panzer versorgt. Ein paar Jahre zuvor hatte es einen Film darüber gegeben. Also sagte ich: »Mein Dad war beim Red Ball Express«, wobei ich nicht ganz sicher war, ob das Fahren eines LKW s etwas Besonderes gewesen war.
    Joe sah mich an und lächelte. »Ich erinnere mich an die Burschen. Das waren unglaubliche

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