Was geschah mit Mara Dyer?: Roman (German Edition)
Finger auf meinem Körper raubte mir den Atem. Jude lachte nur, was eine wilde Wut in mir auflodern ließ. Ich wollte ihn töten. Ich wünschte, ich könnte es. Mit einer Kraft, von der ich gar nicht wusste, dass ich sie besaß, löste ich eine seiner Hände von mir. Er legte sie wieder hin, und ohne darüber nachzudenken, holte ich aus und schlug zu.
Mir blieb keine Zeit, den stechenden Schmerz in meiner Hand zu registrieren, als ich den gleichen auch schon im Gesicht spürte. In meinem Gesicht. Judes Schlag kam so schnell und so heftig, dass es Ewigkeiten zu dauern schien, bis ich begriff, dass er zurückgeschlagen hatte. Ich hatte das Gefühl, als hinge mein Augapfel aus der Augenhöhle. Der Schmerz zerfraß mich von innen. Ich war ganz und gar erfüllt davon.
Weinend und mit zitternden Gliedern – weinte ich wirklich? – sank ich in die Knie. Jude zerrte mich wieder hoch, warf sich gegen mich und presste mich an die Wand. Ich zitterte so heftig, dass sich unter meinen Händen, Armen und Beinen kleine Brocken lösten. Jude fuhr mir mit der Zunge über die Wange und ich schauderte.
Plötzlichertönte Claires Stimme und zerschnitt die aufgeladene, stille Luft. »Mara?«
Jude wich ein Stück zurück, nur eine Winzigkeit, aber meine Füße bewegten sich nicht vom Fleck. Meine Wangen waren kalt und brannten von Tränen und seiner Spucke, die ich nicht fortwischen konnte. Ich atmete keuchend, aber mein Schluchzen war unhörbar. Ich hasste mich selbst dafür, dass ich diesen hohlen Fremden vor mir nicht durchschaut hatte, und ich hasste ihn, weil er sich so gut verstellt und mich hereingelegt hatte, weil er mich einklemmte und zerquetschte. Ich spürte, wie etwas an den Rändern meines Bewusstseins zerrte und mich hinabzuziehen drohte.
Das Geräusch von Schritten in unmittelbarer Nähe holte mich zurück. Auf der anderen Seite der Tür rief Claire abermals meinen Namen. Ich konnte sie nicht sehen, aber ich klammerte mich an diese Stimme und versuchte, die vertrackte Machtlosigkeit abzuschütteln, die mir die Kehle abdrückte und mich festhielt.
Der Strahl ihrer Taschenlampe tanzte durch den Raum und landete schließlich auf Jude, der hinter der Wand hervortrat und dabei winzige Staubwolken aufwirbelte.
»Hi«, sagte sie.
»Hey«, erwiderte Jude mit einem ruhigen, gelassenen Lächeln. Es war Millionen Mal beängstigender als seine Wut. »Wo ist Rachel?«
»Sie sucht nach dem Raum mit der Tafel, um unsere Namen draufzuschreiben«, sagte Claire leise. »Sie wollte, dass ich zurückgehe und sicherstelle, dass ihr beiden euch nicht verirrt habt.«
»Bei uns ist alles klar«, sagte Jude strahlend und zeigte seine amerikanischen Lausbubengrübchen. Er zwinkerte ihr zu.
Der wilde Zorn in meinem Innern machte sich lediglich in einem schwachen, kümmerlichen Flüstern Luft. »Geh nicht weg.«
Jude starrte mich an, die nackte Wut in den Augen. Er ließ mir keine Chance, etwas zu sagen, ehe er sich wieder zu Claire umdrehte. Grinsend verdrehte er die Augen. »Du kennst ja Mara«, sagte er. »Sie steht ein bisschen neben sich. Ich bringe sie gerade auf andere Gedanken.«
»Ah«, sagte Claire mit einem leisen Lachen. »Dann amüsiert euch schön, ihr zwei.« Ich hörte, wie ihre Schritte sich entfernten.
»Bitte«, sagte ich, diesmal ein wenig lauter.
Die Schritte hielten einen hellen, hoffnungsvollen Moment lang inne, dann gingen sie weiter und verhallten schließlich ganz.
Und Jude legte wieder los. Er drückte mir seine fleischige Hand auf die Brust und stieß mich gegen die Wand. »Halt die Klappe«, sagte er und öffnete mit einer heftigen Bewegung den Reißverschluss meines Mantels. Mit einer weiteren zog er den meiner Sweatshirtjacke auf. Beides hing mir lose von den Schultern.
»Rühr dich nicht vom Fleck«, warnte er mich.
Ich war wie erstarrt – vollkommen hirnverbrannt bewegungsunfähig. Meine Zähne klapperten und mein Körper zitterte vor Wut, als Jude am Knopf meiner Jeans herumfummelte. Ich hatte nur noch einen Gedanken, einen einzigen, der mir wie ein Insekt in den Kopf gekrabbelt war und dort mit den Flügeln schlug, bis ich nichts anderes mehr hören oder denken konnte, bis nichts anderes mehr zählte.
Er verdiente es zu sterben.
Als Jude den Reißverschluss meiner Hose aufzog, passierten drei Dinge gleichzeitig.
Rachel rief meinen Namen.
Dutzende Eisentüren schlugen mit einem ohrenbetäubenden Knall gleichzeitig zu.
Alles wurde schwarz.
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D ieStimme meiner Mutter schreckte mich aus dem
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