Was geschah mit Mara Dyer?: Roman (German Edition)
Notarzt sah aus, als wäre er in meinem Alter. Er wickelte die Gaze um meinen rot geschwollenen Unterarm und ich biss die Zähne zusammen, um nicht loszuschreien.
»Badewanne«, krächzte ich mit Mühe. Er und meine Mutter tauschten einen Blick aus.
»Dein Arm muss eine ganze Weile im Wasser gewesen sein«, sagte er und begegnete meinem Blick. »Das sind ernsthafte Verbrennungen.«
Was sollte ich sagen? Dass ich das Wasser getestet hatte, bevor ich den Arm hineinsteckte, und es mir nicht heiß vorgekommen war? Dass es sich angefühlt hatte, als habe etwas meinen Arm gepackt und unter Wasser gezogen? Ich konnte dem Arzt im Gesicht ablesen, dass er mich für verrückt hielt, dass er glaubte, ich hätte es absichtlich getan. Nichts, womit ich die Sache erklären konnte, würde mir helfen.
Also wandte ich die Augen ab.
Von der Fahrt ins Krankenhaus wusste ich nicht mehr viel, nur dass Joseph und meine beiden Eltern dabei gewesen waren. Zum Glück erinnerte ich mich auch nicht mehr daran, dass meine Mutter mich vom Badezimmerboden hochgezerrt und ins Auto verfrachtet hatte, wie es der Fall gewesen sein musste. Ich konnte sie kaum ansehen. Als der Arzt mit dem Verband fertig war, zog er sie in den Gang.
Ich konzentrierte mich auf den sengenden Schmerz im Arm, um nicht darüber nachdenken zu müssen, wo ich war. Der Desinfektionsgeruch kroch mir in die Nase, die Krankenhausluft drang mir in alle Poren. Ich biss die Zähne zusammen, um die Übelkeit zu verdrängen, und lehnte die Wange an die kühle Fensterscheibe.
Anscheinend erledigte mein Vater den Papierkram, denn Joseph saß ganz allein draußen und wartete. Er sah so klein aus. Und still. Er hatte die Augen niedergeschlagen und sein Gesicht – herrje! Er wirkte total verängstigt. Der Kummer, der in mir aufstieg, schnürte mir die Kehle ab. Ich bekam eine Ahnung davon, wie furchterregend mein letzter Krankenhausaufenthalt für ihn gewesen sein musste, als er miterlebt hatte, wie seine große Schwester von einem Krankenhausbett verschluckt wurde. Und jetzt waren wir wieder hier, keine drei Monate später. Es war eine Erlösung, als meine Mutter schließlich zurückkam und mich aus dem Zimmer führte. Auf der Rückfahrt sagte keiner ein Wort.
Als wir das Haus betraten, schoss sofort Daniel auf mich zu. »Mara, ist alles in Ordnung?«
Ich nickte. »Bloß eine Verbrennung.«
»Ich will mit Mara reden, Daniel«, sagte meine Mutter.
»Ich komme nachher in dein Zimmer.«
Ihr Tonfall klang drohend, aber Daniel wirkte unbeeindruckt und schien sich vor allem um mich zu sorgen.
Meine Mutter marschierte durch den Flur vorneweg in mein Zimmer und setzte sich auf mein Bett. Ich nahm den Sessel.
»Ich werde einen Termin vereinbaren, damit du morgen mit jemandem reden kannst«, sagte sie.
Ichnickte und sah abermals Josephs verängstigtes Gesicht vor mir. Er war noch ein Kind. Er hatte meinetwegen genug durchgemacht. Vielleicht war es zwischen den Verbrennungen, Spiegeln, dem Gelächter und den Albträumen an der Zeit, die Dinge so anzupacken, wie meine Mutter es wollte. Vielleicht würde es mir helfen, mit jemandem zu reden.
»Der Arzt sagt, um Verbrennungen zweiten Grades zu erleiden, musst du den Arm eine ganze Weile ins Wasser gehalten haben«, sagte sie mit heiserer Stimme. »Was hast du dir dabei gedacht, Mara?«
Resigniert entgegnete ich: »Ich wollte baden, aber die Ohrringe …« Zittrig holte ich Luft. »Die Ohrringe, die du mir geliehen hast, sind in die Wanne gefallen. Ich wollte sie rausholen, bevor ich den Stöpsel zog.«
»Und, hast du das gemacht?«, fragte meine Mutter.
Ich schüttelte den Kopf. »Nein.« Die Stimme kippte mir weg.
Meine Mutter runzelte die Stirn. Sie kam zu mir herüber und streckte die Hand aus. Ich spürte, wie sie an meinem Ohrläppchen einen Ohrring öffnete. Dann lag der Ohrstecker auf ihrer offenen Handfläche. Ich fasste mit der Hand ans andere Ohrläppchen; auch dieser Ohrring saß noch an seinem Platz. Ich löste ihn und legte ihn ihr in die Hand, während mir die Tränen in die Augen stiegen.
Ich hatte mir alles nur eingebildet.
22
M araDyer?«, rief die Dame am Empfang. Ich sprang auf. Die Zeitschrift, in die ich keinen Blick geworfen hatte, fiel zu Boden und zeigte die ganz und gar nicht jugendfreie Aufnahme zweier nackter Models, die rittlings auf einem Schauspieler in einem eleganten Anzug saßen. Ziemlich gewagt für eine psychiatrische Praxis. Ich hob die Zeitschrift auf, legte sie auf ein Tischchen und steuerte
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