Was geschah mit Mara Dyer?: Roman (German Edition)
Herzschlagader. Seine Schwester. Seine Schwester !
»Es ist fast Mittag, falls es dich interessiert«, sagte Noah.
Kate gähnte achselzuckend. »War nett, dich kennenzulernen, Mara«, sagte sie dann und zwinkerte mir zu, ehe sie die Treppe hinunterlief.
»Dichauch«, schaffte ich es ihr nachzuhauchen. Mein Herz lief Amok.
Noah machte die Tür auf und ich versuchte, mich zusammenzureißen. Doch es änderte nichts. Überhaupt nichts. Noah Shaw war immer noch ein Aufreißer, ein Arsch und weit jenseits meiner Liga. Dieses innere Mantra wiederholte ich in Endlosschleife, bis Noah den Kopf neigte und mich ansprach.
»Kommst du?« Ja, ja, ich kam.
28
N oahsZimmer war eine Überraschung. Ein flaches, modernes Bett dominierte die Mitte des Raums, ansonsten gab es, bis auf einen langen Schreibtisch in einer Nische, keine Möbel. Es gab keine Poster, keine herumfliegenden Klamotten, nur eine Gitarre, die seitlich am Bett lehnte. Und die Bücher.
Reihen über Reihen von Büchern standen in den Einbauregalen, die sich vom Boden bis zur Decke erstreckten. Sonnenlicht flutete durch die riesigen Fenster mit Blick auf die Biscayne-Bucht.
Ich hatte mir noch nie Gedanken darüber gemacht, wie Noahs Zimmer wohl aussehen würde, aber wenn, hätte ich es mir niemals so vorgestellt. Es war ohne Zweifel wunderschön. Aber so … kahl. So unbewohnt. Ich wanderte durch den Raum und ließ dabei die Finger über einige Buchrücken gleiten.
»Willkommen in der Privatsammlung von Noah Shaw«, sagte er.
Ich starrte die vielen Bücher an. »Die hast du aber nicht alle gelesen.«
»Noch nicht.«
Ich lächelte. »Dann ist das also nur Taktik.«
»Wie bitte?« Ich hörte die Belustigung in seiner Stimme.
»Prestige-Lektüre«,sagte ich, ohne ihn anzusehen. »Du liest sie eigentlich gar nicht, sondern willst nur deine … Gäste damit beeindrucken.«
»Du bist ein böses Mädchen, Mara Dyer«, sagte er. Ich spürte seinen Blick auf mir und es gefiel mir.
»Liege ich falsch damit?«, fragte ich.
»Ja, das tust du.«
»Na schön«, sagte ich und zog willkürlich ein Buch aus dem Regal. » Maurice , von E.M. Forster. Worum geht es?«
Noah erzählte mir von dem schwulen Helden, der um die Jahrhundertwende die Universität von Cambridge besuchte. Ich glaubte ihm nicht, hatte das Buch aber selbst nicht gelesen, also machte ich weiter.
» Ein Porträt des Künstlers als junger Mann ?«
Noah warf sich auf seinem Bett auf den Bauch und lieferte mir in gelangweiltem Ton eine weitere Zusammenfassung. Meine Augen folgten dem endlosen Verlauf seines Rückens und ich kämpfte gegen den verwirrenden Impuls, zu ihm hinüberzugehen und mich zu ihm zu gesellen. Stattdessen zog ich ein anderes Buch aus dem Regal, ohne vorher den Buchrücken zu lesen.
»Ulysses« , rief ich aus.
Das Gesicht im Kissen vergraben, schüttelte Noah den Kopf.
Ich lächelte zufrieden, stellte das Buch zurück ins Regal und griff nach einem weiteren. Es hatte keinen Schutzumschlag mehr, also las ich den Titel vom Cover des dicken, unscheinbaren Buches ab. » Freude am … Mist.« Den Rest des Titels las ich leise und spürte, wie ich dabei rot wurde.
Noahrollte sich auf die Seite und sagte mit spöttischer Ernsthaftigkeit: » Freude am Mist habe ich nie gelesen. Klingt aber widerlich.« Ich wurde dunkelrot. »Allerdings habe ich Freude am Sex gelesen«, fuhr er fort und begann spitzbübisch zu grinsen. »Es ist zwar schon eine Weile her, aber ich glaube, das Buch ist einer dieser Klassiker, die man sich immer wieder vornehmen kann.«
»Mir gefällt das Spiel nicht mehr«, sagte ich und stellte das Buch zurück ins Regal.
Noah fasste mit der Hand auf den Boden neben dem Bett, direkt neben die akustische Gitarre, die an einem mit Stickern übersäten Gitarrenkasten lehnte. Dann klimperte er mit einem Schlüsselbund. »So, jetzt können wir los. Du kannst ja wiederkommen und mich ein andermal weiter über den Inhalt der Bibliothek ausquetschen«, sagte er immer noch grinsend. »Hast du Hunger?«
Das hatte ich wirklich und ich nickte. Noah ging zu einer gut getarnten Sprechanlage und drückte auf den Rufknopf.
»Wenn du jetzt befiehlst, dass uns jemand Essen bringen soll, gehe ich.«
»Ich wollte mich nur vergewissern, dass Albert den Wagen nicht weggefahren hat.«
»Ach ja, richtig. Albert, der Butler.«
»Um genau zu sein, ist er ein Kammerdiener.«
»Das macht die Sache auch nicht besser.«
Noah ging nicht darauf ein und warf einen Blick auf die Uhr neben dem
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