Was habe ich getan?
Tochter.«
»Deine Tochter? Ich habe gar nicht gewusst, dass du eine Tochter hast. Wo ist sie?«
Kate schluckte die Tränen hinunter, die sich in ihrer Kehle sammelten. Man stelle sich das einmal vor. Tanya wusste nicht, dass Kate die Mutter des schönsten Mädchens und des hübschesten Jungen auf dem Planeten war, wusste nicht, dass sie jedes Mal, wenn sie die Schwangerschaftsstreifen auf ihrem Unterbauch berührte, an die Freude erinnert wurde, menschliche Wesen hervorgebracht zu haben. Ihre Kinder waren ihre größte Leistung, und Tanya, die unter ihrem Dach lebte, wusste nicht einmal, dass sie Mutter war.
»Ich … na ja … sie lebt in Hallton in North Yorkshire, in der Nähe ihrer Tante, meiner Schwester.«
»Siehst du sie hin und wieder?«
Tanyas Fragerei war typisch für sie und sehr direkt. In ihrer Welt war nichts tabu, keine Gefühle zu kostbar, um nicht darauf herumzutrampeln.
Bist du auf Droge?
Bist du schwanger? Hast du dich infiziert? Wo ist die Schlampe? Für sie war diese Art von Sprachgebrauch ganz normal.
»Nein, eigentlich nicht. Genau genommen gar nicht, seit einer ganzen Weile nicht mehr.«
»Das ist seltsam, oder?«
»Ja. Ja, es ist seltsam.«
Kate konnte ihr nur beipflichten. Aber Tanya war mit dem Thema noch nicht fertig.
»Ich meine, da bist du, bist für mich und alle, die es brauchen, wie eine Mutter, aber deine eigene Tochter siehst du nicht.«
»O mein Gott, Tanya – wenn Wörter Dolche wären …«
Kate legte die Hände über die Augen. Sie wollte sich vor der Welt verstecken.
»Ach, du meine Güte, Kate! Tut mir leid. Ich wollte dich nicht aufregen. Gott, ich mache das ständig, nicht wahr? Es ist nur, dass ich manchmal sage, was mir durch den Kopf geht, ohne vorher nachzudenken.«
»Es braucht dir nicht leidzutun. Das ist nicht deine Schuld. Es ist eben, wie es ist – eine fürchterliche Situation, die mich jeden Tag von morgens bis abends verfolgt. Ich vermisse sie, Tanya, und meinen Sohn, Dominic. Ich vermisse die beiden schrecklich.«
»Das verstehe ich nicht. Meine Mum kann man absolut vergessen, aber ich kann sie sehen, wann immer ich will, was ich aber nicht mache. Du bist dagegen absolut fantastisch. Wenn du meine Mum wärst, würde ich dich ständig sehen wollen.«
»Vielleicht fühlt sich deine Mum wie ich, hast du je darüber nachgedacht? Vielleicht würde deine Mum dich gern sehen. Du kannst sie jederzeit anrufen, Tanya, das weißt du. Oder du könntest ihr schreiben. Ein Besuch von ihr ist mehr als willkommen. Wir haben jede Menge Platz.«
Tanya blickte sie unverwandt an, aber sie schwieg mehrere Sekunden lang.
»Das letzte Mal habe ich meine Mum an dem Abend gesehen, als ich verhaftet worden bin. Die Polizei hat an die Tür geklopft, und Mum hat herumgeschrien, weil sie dadurch geweckt worden war. Ich bin in ihr Schlafzimmer gegangen. Da hat es gestunken, und dieses dreckige, zottelige Schwein lag splitternackt mitten auf dem Bett und war völlig weggetreten. Beide waren auf Droge, und er war völlig neben der Spur. Ich habe die lange Aschewurst im Aschenbecher auf dem Boden bemerkt, die noch immer an der Kippe hing, weißt du, einfach liegen gelassen, damit sie abbrennt und ausgeht, weil man sie schlichtweg vergessen hat. Das hat mir Sorgen gemacht, weil ich schon sehen konnte, wie sie die ganze verdammte Wohnung abfackelt. Sie ist in solchen Sachen nicht gerade vorsichtig. Ich weiß nicht, was ich von ihr erwartet habe, aber ich wusste, dass ich echt in der Scheiße saß. Davor bin ich mit manchem durchgekommen, aber dieses Mal wusste ich, dass ich im Knast lande, und ganz ehrlich, Kate, ich hatte Angst. ›Hilf mir, Mum‹, hab ich gesagt. Und weißt du, was sie geantwortet hat? Sie hat sich eine neue Kippe angezündet und gesagt: ›Mach beim Rausgehen die verdammte Tür zu!‹ Seitdem habe ich nicht mehr mit ihr geredet und sie nicht mehr gesehen. Sie war nie für mich da und hat mir nie geholfen, und ich bin wirklich sauer auf mich, weil ich sie an diesem Abend um Hilfe gebeten habe. Deshalb glaube ich nicht, dass sie dasitzt und auf einen Anruf von mir wartet oder auf einen Besuch hofft. Das ist ihr scheißegal, Kate. So war es schon immer.«
Sie schwiegen ein paar Sekunden, in denen sie beide Bilanz zogen. Kate hatte es nie an mütterlicher Liebe gemangelt, aber sie wusste, was Grausamkeit war. Sie konnte Tanya keinerlei Vorwürfe machen, dass sie von ihrer Mutter nichts mehr wissen wollte.
»Na ja, ich bin zwar nicht deine Mum, aber ich
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