Was habe ich getan?
die Lage meistern, so wie es ihnen bislang immer gelungen war. Sie hatten jede Menge Platz, und alles würde gut werden, sobald sie zusammen eine Tasse Tee getrunken und ein paar freundliche Worte gewechselt hatten.
Oder es handelte sich um einen Überraschungsbesuch des Sozialdienstes – ein deutlich weniger angenehmes Szenario. Allein bei dem Gedanken ließ Kate den Kopf hängen. Ihre Stimmung verdüsterte sich. Warum ausgerechnet an einem so herrlichen Tag? Nicht etwa, dass sie etwas zu verbergen gehabt hätte, weit gefehlt. Sie verfolgten eine Politik der offenen Tür, aber es wäre lästig und zeitraubend, und sie hätte ihren Papierkram gern ein bisschen besser geordnet gehabt.
Kate betrat die Küche mit einem heiteren Hallo.
Und blieb wie angewurzelt stehen.
Die Zeitung fiel auf den Boden, als sie sich mit der Hand auf den Mund schlug. Ihr Herz raste so schnell, dass sie sich ganz benommen fühlte. Am Tisch saß ihr Sohn.
Tom stellte einen Becher mit Tee auf den Tisch, der zu jenem passte, den er Dominic bereits gebracht hatte, und verzog sich leise.
»Hallo.«
»Meine Güte! Ach, Dom!«
Kate ging zu ihm und strich ihm mit der einen Hand über den Rücken, mit der anderen umfasste sie seinen Hinterkopf. Ihre Berührung war sanft und vorsichtig – nicht nur, weil sie sich unsicher war, wie sie aufgenommen würde, sondern aufgrund der Angst, er könnte wieder verschwinden. Sie hatte sich dieses Wiedersehen so oft vorgestellt, dass sie dachte, es könnte sich um einen Traum handeln. Aber das war es nicht. Sie spürte ihn unter ihren Händen, er war wirklich da und saß in ihrer Küche.
Sie atmete seinen Duft ein, vertraut und berauschend.
»Ach, Dom, schau dich nur an! Schau dich nur an! Das ist wunderbar, das ist der schönste Augenblick … Ich habe dich vermisst.«
Sie hatte den Eindruck, das wäre eine krasse Untertreibung. Man konnte mit Worten unmöglich beschreiben, was die Abwesenheit ihrer Kinder für sie bedeutet hatte – sie waren alle viel zu schwach, nichtssagend und unpassend.
»Du zerquetschst mich noch.«
»Ach, tut mir leid, Schatz.«
Kate nahm auf dem Stuhl Dom gegenüber Platz.
Sie musterte den Mann vor ihr. Er trug Jeans, ein dickes weißes Baumwollhemd und sah wirklich fantastisch aus. Seine muskulösen Unterarme waren dicht mit dunklen Haaren bedeckt. Sie blinzelte und blendete aus dem Gedächtnis das Bild der mageren Arme ihres Jungen darüber, bedeckt mit hauchdünnen Spiderman-Tattoos, die in einer Kaugummipackung gesteckt hatten. Sie sah seine dürren, sommersprossigen Gliedmaßen vor sich, die aus gestreiften T-Shirt-Ärmeln herausragten. Die Ärmel wirkten sehr weit, weil seine Arme weder einen Bizeps noch einen Trizeps vorzuweisen hatten.
Wie lange war das her? Zehn Jahre? Nein, zwanzig Jahre. Du meine Güte, wie die Zeit verging!
Kate stellte fest, dass aus dem schlaksigen Teenager ein muskulöser Mann mit dichtem dunklem Haar geworden war. Alles Eckige und Spitze war durch solide Rundungen ersetzt worden.
Die körperlichen Veränderungen waren gewaltig, aber Kate konnte darüber hinaus erkennen, dass er bereits vor einiger Zeit die Grenze vom gelangweilten Teenager zum vom Leben gezeichneten Mann überschritten hatte. Sein Blick musterte die Dinge nicht mehr beiläufig, sondern zögerlich, verstohlen. Sein Bein zuckte, sein Absatz wippte, und seine Finger trommelten auf den Tisch. Er war unruhig, nervös und redete ein bisschen zu schnell, verbreitete eine gereizte Stimmung. Kate fühlte sich an ein in die Ecke gedrängtes sprungbereites Tier erinnert.
»Ich kann es kaum fassen, dass du hier bist, ehrlich. Es gibt so vieles, was ich dir sagen will, Dominic, aber ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Das ist verrückt, denn seit ich dich zum letzten Mal gesehen habe, habe ich darüber jeden Tag nachgedacht. Ich bin so glücklich. Wie lange kannst du bleiben?«
Die Angst, er könnte wieder gehen, überschattete bereits ihre kostbaren gemeinsamen Augenblicke.
»Ich habe Zimmer, die schon hergerichtet sind. Wir können alles nachholen. Hast du Hunger? Wie bist du hergekommen? Bist du mit dem Auto gefahren? Francesca hat erzählt, dass du beruflich viel unterwegs bist. Ich komme mir wie ein kleines Kind vor! So aufgeregt bin ich! Wie geht es Lyds?«
Die Wörter sprudelten wie ein Wasserfall aus ihr heraus.
»Nein, ich kann nicht bleiben, aber danke fürs Angebot. Lydia geht es sehr gut, danke. Sie ist eine echte Künstlerin, die überschwängliche Kritiken
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