Was habe ich getan?
dass das alles ein schreckliches Missverständnis und ein Scherz gewesen sei. Aber Natasha war, wie Kathryn feststellen sollte, nicht wie die meisten Leute. Sie legte beide Hände auf Kathryns Schultern und blickte ihr in die Augen.
»Ein schweres Los, meine Liebe.«
Und allein schon aus diesem Grund, obwohl es bald viele andere geben sollte, fand Kathryn Natasha wunderbar. Sie war sehr froh, als ihre Freundin auserwählt worden zu sein.
Kathryn verbrachte den Rest des Tages mit der Erledigung einer Unmenge an Aufgaben, zu denen das Putzen der Verandatüren im Esszimmer zählte, das Aufstellen frischer Blumen in Flur und Arbeitszimmer, das Einkaufen und Vorbereiten der Häppchen für das Lehrertreffen am Abend und das Kochen des Abendessens für die Familie. Als diese Arbeiten erledigt waren, nahm Kathryn sich die Familienwäsche vor, bügelte die Bettlaken und legte sie ordentlich in den Wäscheschrank, wo sie darauf warteten, beim Wäschewechsel wieder an der Reihe zu sein. Nach Kathryns Einschätzung würden sie am Mittwoch zum Einsatz kommen.
Schließlich saß sie um kurz vor sechzehn Uhr dreißig an ihrem Frisiertisch und bürstete sich die Haare. Dann trug sie ein wenig Parfum auf und verteilte etwas Rouge auf ihren blassen Wangen. Schließlich zog sie sich einen rosafarbenen Leinenrock und eine hochgeschlossene Strickjacke an, um gemäß der Anweisung ihres Mannes feminin und dezent auszusehen.
Jeden Nachmittag saß Kathryn zu unterschiedlichen Zeiten, je nach Nachmittagsaktivitäten an der Schule und nach Jahreszeit, an dem weiß lackierten Frisiertisch mit seinem dreiteiligen Spiegel und ging der Aufgabe nach, sich zu pflegen und hübsch zu machen.
Der Text eines Songs aus den 1960ern ging ihr dann ungebeten, aber mit alarmierender Regelmäßigkeit durch den Kopf – wie ein programmierter Wecker, von dem sie nicht wusste, wie sie ihn ausschalten konnte:
Hey, kleines Mädchen,
kämm dir das Haar, schmink dich,
bald wird er die Tür öffnen.
Glaub bloß nicht,
du bräuchtest dir keine Mühe mehr geben,
nur weil du einen Ring am Finger trägst.
Vor dem Spiegel trainierte sie ihr Lächeln. Auch das tat sie fast täglich, weil sie von sich aus fast nie lächeln wollte. Ihr war die Lust oder der Wunsch zu lächeln schon vor langer Zeit abhandengekommen.
Stets rechnete Kathryn damit, dass ihr das Gesicht von den Knochen rutschen und in eine Pfütze des Elends rinnen würde, wie etwa Dalís schmelzende Uhr oder das Spiegelei. Sie war immer ein wenig überrascht, wenn sie feststellte, dass ihr Gesicht da saß, wo es hingehörte. Nur das Lächeln war ein Problem: Sie konnte von einem Ohr zum anderen grinsen, doch ihre Augen weigerten sich mitzumachen. Sie blieben starr und verängstigt, egal, wie sehr sie sich bemühte. Sie würde sich einfach ein bisschen mehr anstrengen müssen.
Das war die Antwort, Kathryn: Streng dich ein bisschen an.
Vor fünf Jahren
Das Anwaltsbüro war muffig, vollgestellt mit dicken, staubigen Fachbüchern und dem, was Kate für eine uralte Angelausrüstung hielt. Die Holzgriffe und das lose geknüpfte Netz waren vom Alter gezeichnet und sahen aus, als würden sie nicht einmal dem Zappeln des kleinsten Fischchens standhalten können. Die Fensterbank hatte sich zu einem magnolienfarben gestrichenen Friedhof für Spinnen entwickelt, die zusammengeschrumpft wie weggeworfene Johannisbeeren auf dem Rücken lagen. Staubpartikel und winzige Fusseln tanzten in den Lichtstrahlen, die kreuz und quer in den Raum fielen.
Kate spürte, wie die Hautpartikel und das andere durch die Luft fliegende Material sie im Hals kitzelten. Sie versuchte, den Mund geschlossen zu halten, verkniff sich jedoch die Bitte, dass man ein Fenster öffnen möge. Wahrscheinlich war es besser, den Schmutz und die Abgase des Londoner Zentrums nicht hereinzulassen. Außerdem genoss sie die Stille in Mr Barnes’ Zimmer.
Kate war jetzt seit drei Tagen und sechs Stunden draußen. Eine freie Frau, nachdem sie fünf Jahre ihrer achtjährigen Strafe abgesessen hatte und bereit war, sich der Welt zu stellen. Ihre bisher größte Freude war der friedvolle Zustand der Stille, in der sie sich bei drei Gelegenheiten vorgefunden hatte: im Taxi, das sie beim Gefängnis abgeholt hatte, im Bett in dem Hotel in Kensington, in dem sie abgestiegen war, und in diesem schmuddeligen Büro in Knightsbridge, wo sie dem Mann gegenüber saß, dem Mark sein Wertvollstes anvertraut hatte. Sein Geld.
Mr Barnes war ein Anwalt von altem
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