Was habe ich getan?
Schrot und Korn: Er hatte ein rotes, aufgedunsenes Gesicht, war in Tweed gekleidet – und wahrscheinlich ein ehemaliger Schüler von Mountbriers. Ein Mann, dessen Anerkennung und Freundschaft Mark geschätzt hätte. Sie konnte sich durchaus vorstellen, wie dieser Mr Barnes ihre Geschichte weitererzählte, wie er sie über den Esstisch hinweg zwischen Schlucken von Rotwein und Bissen von Wild ausschlachtet. Sie würde als diese fürchterliche Frau dargestellt werden, die den Schulleiter um die Ecke gebracht hat, keinen Geringeren als einen mit Preisen ausgezeichneten Direktor.
Machte ihr das etwas aus? Nur insofern, als solches Gerede Lydia und Dominic oben in Yorkshire zu Ohren kommen könnte, und das beunruhigte sie sehr.
Mr Barnes schob sich die schwere goldgerahmte Brille auf die Knollennase und studierte die Papiere in seiner Hand. Er las aufmerksam, als wären ihm die Informationen neu, die sie enthielten. Vielleicht waren sie das tatsächlich. Außerdem verhalf ihm dies zu einer perfekten Gelegenheit, seine Überlegenheit zu demonstrieren. Es kümmerte ihn wenig, dass sie möglicherweise noch andere Termine hatte oder ihre neu entdeckte Freiheit in diesem trostlosen, stickigen Raum vergeudet wurde. Er führte sie gern in sein Büro und ließ sie dann schweigend dasitzen und darauf warten, ihre finanzielle Lage offengelegt zu bekommen, während er über dem Dokument brütete. Es amüsierte Kate, dass er sie für so bedeutungslos hielt. Er wusste es zwar nicht, aber sie war ganz zufrieden und keineswegs unruhig, gespannt oder nervös wie andere, die vor ihr auf diesem Stuhl gesessen hatten. Sie hatte alle Zeit der Welt.
Schließlich legte er die Papiere mit der beschriebenen Seite nach unten auf den lederbezogenen Schreibtisch und nahm die Brille ab.
»Ich hoffe, Sie sind …«
Kate wartete darauf, dass er seinen Satz beendete, doch das tat er nicht.
»Ja, ja, das bin ich.«
»Gut.«
Er ließ seine alten, gelben Zähne sehen. Sie erinnerten Kate an Stoßzähne, die sehr gut zu diesem Walross von einem Mann passten. Sie lächelte geduldig über den banalen Wortwechsel.
»Also gut, Kathryn.«
»Ich heiße Kate.«
»Wie bitte?«
»Ich bin nicht mehr Kathryn Brooker. Das war ich eigentlich nie. So hat Mark mich nur genannt. Ich habe als Kind Kate oder Katie geheißen. Kathryn war das Etikett, das Mark mir aufgedrückt hat. Er hat mir alles genommen, sogar meinen Namen. Jetzt bin ich also wieder Kate und habe meinen Mädchennamen Gavier angenommen. Ich werde nie mehr Kathryn Brooker sein.«
Mr Barnes starrte die adrette Frau ihm gegenüber an. Er reckte seinen Hals, indem er seinen Unterkiefer nach vorn schob – eine widerliche Angewohnheit. Diese Frau war eindeutig total verrückt und zweifelsohne eine dieser verfluchten Emanzen. Zu seiner Zeit nahm eine Frau den Namen ihres Mannes an und war froh darüber.
»Wie auch immer. Das hat keine Bedeutung …«
»Für Sie vielleicht nicht.« Sie war nicht bereit, darüber hinwegzugehen. »Aber für mich ist es von großer Bedeutung, deshalb heiße ich von jetzt an wieder Kate.«
»Ja, verstanden. Sollen wir weitermachen?«
»Bitte sehr.« Sie nickte.
Mr Barnes setzte sich die Lesebrille wieder auf und drehte die Papiere um. Kate schmunzelte über diese Theatralik.
»Kate.« Er verstummte, nachdem er ihren Namen mehr oder weniger gerufen und damit seinen Standpunkt klargemacht hatte. »Mark hat Sie sehr gut versorgt zurückgelassen. Er hatte nicht nur eine beachtliche Pension, die sich inzwischen hervorragend entwickelt hat, sondern war auch so klug, eine Lebensversicherung abzuschließen und ein paar andere Investitionen zu tätigen, die wir für Sie kapitalisiert haben. Ihre Situation ist absolut einzigartig. Noch nie war ich mit etwas Ähnlichem konfrontiert. Es haben viele Gespräche zwischen mir und der Versicherungsgesellschaft stattgefunden. Ich räume ein, dass ich zudem von mehreren Kollegen Rat eingeholt habe, aber es hat den Anschein, dass alles gesetzeskonform ist.«
Sie nickte. Sein Tonfall war mehr als nur verhalten anklagend. Um ehrlich zu sein, fühlte es sich wirklich ein bisschen komisch an, die Begünstigte einer Lebensversicherung zu sein, obwohl sie diesem Leben selbst ein Ende gesetzt hatte.
»Hätten Sie einen Mord begangen, dann wäre der Sachverhalt ein ganz anderer. Doch nach Lage der Dinge bin ich verpflichtet, Sie über die Höhe der Summe zu informieren.«
Die Art und Weise, wie er das Wort verpflichtet betonte, sagte ihr
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