Was habe ich getan?
hier wirklich lebe.
Stattdessen lächelte sie.
»Alles klar, Judith.«
Sie war sich nicht ganz sicher, was sie ihr da zusagte, aber sie wusste, dass es ausreichen würde, Judith zu beruhigen und ihr den Eindruck zu vermitteln, dass ihr Auftrag erfüllt war und ihre Botschaft verstanden wurde, klar und deutlich.
In ihren gemeineren Momenten formulierte Kathryn widerwärtige Gedanken über Judiths Unbeliebtheit oder ihr widerlich kriecherisches Verhalten Mark gegenüber. Auf diese würde unweigerlich die Frage folgen: Wie kannst du es wagen, solche Gedanken zu hegen, wo deine eigene Situation doch so schlimm ist? Dann schlich sich ein anderer Gedanke in ihren Kopf: Ich muss tatsächlich so dumm sein, wie Mark behauptet, denn wie sonst habe ich mich in dieses verdammte Schlamassel gebracht? Ich bin wie einer dieser kleinen Käfer, die von einer Venus-Fliegenfalle gefangen werden, und die Ironie dabei ist, dass ich umso tiefer hineinrutsche, desto mehr ich mich winde. Ich sitze in der Falle.
Kathryn wünschte sich, irgendjemand würde ihr eine Fluchtmöglichkeit, einen Ausweg bieten. Häufig träumte sie von Freiheit in einer anderen Zeit und an einem anderen Ort. Sie konnte sich nur eine Lösung vorstellen, die einfach war, weil sie weder Lust noch die Möglichkeit hatte, sich etwas Komplexes auszudenken. Doch egal, wie sehr sie sich bemühte, eine einfache Lösung wollte ihr partout nicht einfallen. Jede Idee, jede Umsetzung ließ sie am Ende obdachlos und fern von ihren Kindern zurück. Mit der Obdachlosigkeit würde sie gerade noch fertig werden, aber ohne ihre Kinder zu leben und nicht da zu sein, um sie zu verteidigen, sollte … sollte … Das konnte sie nicht. Sie würde ihre Kinder immer in ihrem Herzen tragen und brauchte ihre Nähe. Ihre Kinder waren das Beste, was sie hervorgebracht hatte. Sie wollte und konnte sich ein Leben ohne sie nicht vorstellen.
Kathryns Großmutter war eine schlanke streitlustige Frau gewesen, deren Kleidung und Verhalten sie eindeutig in der viktorianischen Epoche verankerten. Trotz ihrer bescheidenen Herkunft und ihres mit schwerer Schufterei im Londoner East End verbrachten Lebens strahlte sie eine Würde aus, die über die Armut hinwegtäuschte, in der sie aufgewachsen war. Kathryn erinnerte sich daran, wie sie ihr die Nachricht mitgeteilt hatte, dass sie Mark Brooker heiraten würde. Die Reaktion ihrer Großmutter brachte sie zum Lachen, obwohl sie ihr jetzt gar nicht mehr so lustig vorkam.
»Meine Liebe, überlege dir das mit dieser Ehe gut. Man sollte natürlich sicherstellen, dass man außerhalb seiner eigenen Postleitzahl heiratet, aber nie außerhalb seiner Schicht. Dein Vater hat die Universität besucht, und damit bist du jemand. Ich fürchte, es reicht nicht aus, dass der Junglehrer Brooker hohe Erwartungen an seine Position hat. Es erleichtert die Dinge sehr, wenn man dieselben Bekannten hat und den gleichen Standard an Tischmanieren besitzt.«
In gewisser Hinsicht fand sie es noch immer lustig, dass Marks Mangel an Kenntnissen, welches Besteck er benutzen sollte, sein Gebrauch des Wortes Tee für Abendessen und seine Vorliebe für Kunststoff- anstelle von Holzfenstern in Wahrheit ihre geringste Sorge war.
Kathryn dachte wie so oft an Natasha. Allein schon die Erinnerung an sie hellte ihre Stimmung auf. Natasha war einer der wenigen Lichtblicke in Kathryns Leben gewesen. Fast drei Jahre lang war sie ihre Freundin, ihre einzige Freundin gewesen. Sie war sich sicher, dass Natashas erst kürzlich erfolgter Wechsel an eine Schule am anderen Ende des Landes zum Teil für die sich zunehmend verdüsternde Wolke verantwortlich war, die sich über ihrem Kopf zusammenzubrauen schien. Sie kam sich wie eine Comicfigur vor, die ständig von Schauern aus einer kleinen Regenwolke verfolgt wird, während alle anderen sich in der Sonne aalen.
Natasha war fortgezogen, um in einer Schule in der Nähe von York zu arbeiten, wo sie behinderte Kinder unterrichtete und ihnen half, sich mithilfe der Kunst auszudrücken. Kathryn fand, das passte viel besser zu ihr als das Hauen und Stechen in Mountbriers. Sie war nach Alne gezogen und lebte nicht einmal eine Meile von Francesca entfernt.
Irgendetwas hielt Kathryn jedoch davon ab, die beiden miteinander in Kontakt zu bringen. Das lag zum Teil daran, dass sie ihre Freundin mit niemandem teilen wollte. Sie wusste, sie hätte es unerträglich gefunden, davon zu hören, dass die beiden sich miteinander und ohne sie amüsierten. Aber da war
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